Paarungszeit: Roman (German Edition)
erliegen, die jeden vernünftigen Gedanken lähmte, nicht jetzt, so kurz vor dem Ziel!
Dynamisch erhob sie sich, warf ihr Nachthemd von sich und musterte sich im Spiegel. An ihrem Oberschenkel ein großer blauer Fleck, vom Fallen aus dem breiten Bett der Kaisersuite, das ihnen nicht breit genug gewesen war, in ihrem spielerischen Kampf. Wer hatte noch gleich das Komfortzimmer direkt darunter? Ob die Sachsen etwas gehört hatten? Na und! Sollten sie es doch alle wissen: Therese Engler hatte einen Lover. Nichts weiter. Nichts, was ihre Gefährlichkeit beim Rededuell oder ihre Entschlossenheit, Neuenthal in eine bessere Zukunft zu führen, beeinträchtigte. Im Gegenteil. Sie fühlte sich entspannt. Stark. Erfüllt. Bereit, alles zu geben. Und der andere blaue Fleck, der an ihrem Hals, würde sich auch verbergen lassen.
Wann hatte sie den letzten Knutschfleck gehabt? Zu Fredl Weidingers Zeiten? Beinahe tat Fredl ihr leid. Welche Anstrengungen die Gegenpartei in den letzten Tagen noch unternommen hatte, um das Rededuell abzuwenden! Aber nach der Zustimmung des Kreistags hatte es kein Halten mehr gegeben.
Sicher hatte auch ihr Verhalten beim Streik eine Rolle gespielt. Sie war dem Wasserwerfer entgegengeschritten, hatte sich allein und mutig Fredl Weidingers Dummheit gestellt. Wie konnte er so hirnrissig sein, über Funk einen riesigen desaströsen Aufmarsch zu melden?
Sie duschte, verwendete großzügig die Anti-Aging-Bodylotion, die Toni ihr katzenfreundlich zum vorletzten Geburtstag geschenkt hatte, vervollständigte ihre Duftkomposition mit einigen Tropfen Parfüm. Dasselbe Parfüm, das sie immer auftrug, bevor sie hinüberging in die Kaisersuite oder ins Gartenzimmer, um ihn zu treffen. Wieder überfielen sie wohlige Erinnerungsschauer. Vor sich hinsummend suchte sie aus dem obersten Fach des Wäscheschranks einen soliden, rededuelltauglichen BH heraus. Und dachte einen Moment an den Bleistifttest. Mei. Keine vier Wochen her. Und was alles war darauf gefolgt!
Sie schlüpfte in die leichten Strumpfhosen mit dem Blumenmuster, dann zog sie ihr kostbarstes Dirndl an. Nichts Ausgefallenes, nichts, was die Neuenthaler Bevölkerung unnötig verschrecken würde. Seide und Organza. Harmlos-weibliche Pastellfarben. Die nicht nur Fredl Weidinger, sondern auch das Publikum von ihrer Gefährlichkeit ablenken würden. Vorübergehend. Bis die Pfeile ihrer Argumente auf sie einhagelten, so lange, bis die Gegenpartei zusammenbrechen, ja, um Gnade winseln würde!
Kriegerisch schwang Therese den Augenbrauenstift, tupfte Rouge auf die Wangen, die bei genauerer Betrachtung kein Rouge mehr nötig hatten, gab ihren Lippen einen rosa Schimmer und setzte den Indiana-Jones-Hut auf. Gina hatte ihn zwei Tage nach dem Pfingstmarkt vorbeigebracht. Ohne zu erwähnen, wie dieser Hut in ihren Besitz gelangt war. Therese hatte auch nicht gefragt, sich nur bedankt.
Mit gemessenen Schritten verließ sie das Haus, ging hinunter zum Parkplatz. Das Frühstückrichten in der Pension hatten heute die Sachsen übernommen, rechtzeitig, damit alle, Sachsen, Franzosen, Schweizer, pünktlich am Gemeindehaus ankämen. Um Therese Engler siegen zu sehen. Was tat ihr der Weidinger leid! Der cremefarbene Mini ihrer Wahlberaterin fuhr vor, schwungvoll öffnete Therese die Tür, stieg ein und zusammen rauschten sie vom Parkplatz.
Als sie die Musik hörte, wusste sie, dass sie den Weidinger unterschätzt hatte. Oder die Strobls. Die feixend im wohlgefüllten Saal saßen und zusahen, wie Fredl Weidinger die Bühne betrat. Oder eher auf die Bühne einmarschierte, wie bei einer Boxweltmeisterschaft, zu den Klängen von We are the Champions. Laut und feierlich, die Wählerseele berührend. Über Musik beim Bühnenaufgang hatten Christiane und sie nie gesprochen, ein Fehler! Die Strobls hatten anscheinend keine Mühen und Kosten gescheut, von We are the Champions wurde meisterlich überblendet zu Eye of the Tiger, und Fredl Weidinger, in Uniform, mit spiegelnder Glatze drehte sich, schritt einmal die Bühne in voller Länge ab, schneidig, im Takt. Nur wer ihn gut kannte, ahnte den Bandscheibenvorfall und den schmerzenden Ischiasnerv, über den er gern klagte. Die allgemeine Begeisterung steigerte sich, als Eye of the Tiger in Simply the Best überging, das Publikum klatschte mit, auch Judda und Üwe, in der ersten Reihe. Die schuldbewusst das Klatschen wieder einstellten, als Thereses Blick sie traf.
»Das hast du nicht nötig«, flüsterte ihre Wahlberaterin. Was
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