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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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»Viertel nach zehn! Ja, sicher, am Vormittag! Sonst hätt i zwoarundzwanzig Uhr fünfzehn gesagt. Neuenthaler! Wir müssen … äh … wir müssen dringend etwas ändern!« Schritte, zurück zum Pult. Wo das Skript lag. Ein eng beschriebenes Blatt. Bestimmt nicht von ihm getippt.
    »Von Fortschritt redens!«, las er jetzt ab. »Und i frag eich: Was is a Fortschritt? Wenn a Weibsbild eich anführt, is des Fortschritt? Sollt ned Neuenthal, unsere Hoamat, wenigstens no a Platzerl auf der Erde sein, wo no alles stimmen duad, a … mei … a Oase inara wüsten Welt? Sechzehn nach! Und die Akkordeonschwuchtl soll ned so vor mia rumtanzen, des is a unerlaubte Ablenkung!«
    Lucien setzte sich folgsam wieder, sein Bayerisch hatte wirklich grandiose Fortschritte gemacht in den letzten Tagen, vielleicht hatte er aber auch nur Fredls verscheuchende Handbewegung verstanden. Im Saal erhoben sich murrende Stimmen.
    »Des is koa Schwuchtl ned!«
    »Was ist denn das für ein Vokabular!« Ihre Wahlberaterin war aufgestanden. »Schämt ihr euch nicht?«
    »Richtig! Schamma soits eich! So a Intoleranz!« Franzi schwenkte ihr Plakat.
    »Und er is so a feiner Kerl, der Lucien!« Anderl wuchs über sich selbst hinaus. »So a genialer Musiker, selbst wenn er so was wär, so a … so a …«
    »Des is er ned! Die Amrei hot gesehn, wie er mit da Therese Engler …«
    »Ruhe! Bitte! Ruhe! Reißt’s euch zusammen!« Therese erhob sich, in all ihrer Autorität, und tatsächlich wurde es still im Saal. Herrgottsakra! Das hatte gerade noch gefehlt, was wollte Amrei gesehen haben, etwa, wie Lucien und sie …
    Mei, die Sache auf dem Fensterbrett war auch zu unvorsichtig gewesen, aber anscheinend hatte Lucien nicht mehr an sich halten können, angesichts der flammenden Rede, die sie, im Zimmer auf und ab gehend, sich ihrer Ausstrahlung bewusst, und, okay, nicht mehr vollständig angezogen, geübt hatte. Stehend hatte er sie geküsst, sie gegen die Wand gedrängt, aufs Fensterbrett gehoben, wo sie … mei! Nicht jetzt daran denken, jetzt kam es drauf an!
    »Neuenthalerinnen und Neuenthaler!« Das war Fredls erster, schwerwiegender Fehler gewesen, die Frauen, die hier immerhin in der Überzahl waren, nicht anzusprechen. »Wie wollt ihr leben?« Um möglichen Vorschlägen aus dem Saal zuvorzukommen, feuerte sie sofort die nächste Frage ab: »In kleinlicher Enge, mit eingezogenen Köpfen? Unter der Geißel der Korruption, mit nächtlichen Razzien, bei denen Rotwein beschlagnahmt und später illegal konsumiert wird? Ja, es ist an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen! Fredl Weidinger und Veit Strobl wurden beim Genuss einer beschlagnahmten Flasche zwotausendsiebener Bordeaux reservé, appellation d’origine contrôlée, mis en bouteille au château Lavenceau erwischt!« Kurze, begeisterte Zwischenrufe von Delphine und Lucien angesichts ihres eloquenten Französisch, das in den letzten Tagen ebenso wie Luciens Bayerisch gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Dann redete sie weiter: »Wollt ihr euch von unlauterer Geldeintreiberei an Ampeln tyrannisieren lassen, von Mafia-Methoden, von überteuerten Brunz-Genehmigungen?« Ja, dies war die Stunde der Wahrheit, sie hatte Resi die zwei Euro noch nicht verziehen! In Mohnau lästerten sie immer noch darüber!
    »Wollt ihr immer brav an der roten Ampel stehen bleiben, statt vorwärts zu stürmen und euch die kostbare, süße und durch nichts zu ersetzende Freiheit zu nehmen?« Tosender Applaus, sie wartete ihn ab, bevor sie damit begann, eine goldene, tolerante, glückliche und menschliche Zukunft für Neuenthal zu entwerfen, nichts konnte sie mehr stoppen, nichts würde sich ihr in den Weg …
    Was war das? Was stürmte er hier einfach herein und auf die Bühne zu? Cedric! Unruhe im Saal, fragendes Gemurmel, das anschwoll, sofort wieder verstummte, als Cedric anfing zu reden, keuchend, außer Atem, aber so laut, dass es jeder verstand: »Susn! Es geht um Susn! Die ganze Nacht! Die ganze Nacht hab ich gesucht!«
    Kruzifix, wieso hatte er Susn gesucht? Und musste er ausgerechnet mitten in ihrer Rede damit ankommen, und was rief Cedric jetzt, Harrgottmarrgott, brüllte er wirklich durch den gesamten Saal, dass er ihre Tochter liebe? Was hatte er ihre Tochter zu lieben, jetzt, da sie den Sieg schon vor Augen hatte? Warum konnte Cedric nicht warten, bis dieses klitzekleine Rededuell vorüber …
    »Polizei! Wir müssen die Polizei verständigen!«, rief Cedric, und dies war der Moment, in dem Therese Engler

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