Paarungszeit: Roman (German Edition)
vermutet hatte, nicht von ihm gewesen war. Strobl hatte damit gerechnet, dass er mich suchen, aber nicht finden und schließlich halb Neuenthal alarmieren würde. Und es war anzunehmen, dass Strobl meine Wohnung beobachtet hatte oder beobachten ließ. Hätte ich nicht selbst das Haus verlassen, hätte er mich vielleicht doch noch eigenhändig entführt. Lieber nicht daran denken.
Lauter wurden die Rufe um uns herum, immer heftiger drängten andere nach, jetzt war auch Nat Wildmosers Männerchor dazugestoßen, skandierte ein rhythmisches: »Frei-heit! Frei-heit! Aus-si! Aus-si!« Wie es Therese dort drinnen wohl ging? War Lucien bei ihr? Ob wir nicht eine Kaution für sie hinterlegen sollten, fragte ich Christiane, es sei doch lächerlich, sie nur wegen eines Motorraddiebstahls, der genau genommen gar kein Diebstahl sei, festzuhalten.
»Nein nein, Susn, alles okay, lass uns noch warten. Ich glaube, was hier passiert, ist gut für uns, richtig gut.« Mit einem Kinnrucken wies Christiane auf das Pappschild, das jetzt über der Menge schwebte: Freiheit für Therese Engler stand in flammendem Rot darauf. Und als Resi an uns vorbeidrängte, sahen wir für einen Moment die Rückseite: Kleines Geschäft 1,50 €, großes Geschäft 2,– €.
»Verstehst du das?« Ich sah Cedi an. Seine Haare waren nass und standen schon wieder zu Berge. In der Tauchschule hatten wir schnell geduscht, in zwei getrennten Kabinen, und während das Wasser auf mich einprasselte, hatte ich auf das Prasseln von nebenan gelauscht und gewusst, auch er lauschte, ebenso atemlos wie ich. Christiane war gekommen, mit Jeans und einem nach ihrem Parfüm duftenden Shirt für mich, Onkel Hartl hatte Cedi ein Hemd und Trainingshosen von Quirin gegeben.
»Ich versteh gar nichts mehr. Aber das ist mir ganz egal, mon cœur. Es ist alles wie ein Traum. Ein wunderschöner Traum.«
Und bald würde die Wirklichkeit uns einholen, oder zumindest mich: Timo, der vielleicht mit Goldflossy zusammen war, vielleicht aber auch reumütig in der Wohnung wartete oder schon zehnmal auf mein Handy gesprochen hatte. Die Hochzeit, die abgeblasen werden musste, der Kuchen, den ich abbestellen würde, ausgerechnet bei Karin Brunnhuber, die ich damals beim Schneeflockentanz gewatscht hatte. Die Wohnung, was war mit unserer Wohnung? Wer von uns beiden würde ausziehen und wohin? Was war mit den Fischen, würde mir Zopodil etwa fehlen? Und was, wenn Zopodil die Verantwortung der Vaterschaft doch nicht so gut verkraftete?
»Ich … ich glaube, ich muss nach den Fischen sehen«, stammelte ich, und Cedi strich mir über die Stirn, sanft, sehr sanft, als wollte er jeden sorgenvollen Gedanken einzeln ausstreichen. »Gut, dann gehen wir jetzt die Realität an, ganz schweizerisch, Liebste, eins nach dem anderen.«
Er legte mir den Arm um die Schulter, schob mich vorsichtig durch die aufgebrachte Menge. Hinter den Kästen, die sich seit der Inventur und dem immer wieder aufflammenden Streik vor dem Edekamarkt stapelten, blieb er stehen, zog sein kleines Notizheft aus seiner Tasche.
»Wir machen eine Liste. Das Schlimmste zuerst.« Er sah mich an, strich mir mit der freien Hand eine noch feuchte Strähne hinters Ohr. »Vielleicht nur noch ein klitzekleines bisou vorher, mon cœur? …«
Während ich mich noch fragte, ob bisou mit baiser und damit auch mit Bussi verwandt war, küsste er mich schon, ich spürte die Kante des Notizhefts in meinem Rücken, und meine Hände wanderten wie von selbst unter sein Hemd. Hinter uns die Rufe nach Freiheit, an meinem Ohr Cedis Atem, schneller jetzt, sein Flüstern, wir sollten rasch diese verdammte Liste machen, sonst würden wir womöglich unseren Enkeln erzählen müssen, dass wir uns das erste Mal zwischen vergammelten Salatköpfen geliebt hätten.
»Stürmt endlisch diesen Kerkör!«, forderte Delphine de Brulée mit französischer Verve, ein donnerndes bayerisches »Lossts aussa« antwortete ihr, und irgendwie schafften wir es, uns voneinander zu lösen, um zusammen Befreiungs-, Fisch- und Entliebungsprobleme anzugehen. Für alles andere würde später noch Zeit sein, viel Zeit.
»Aus-si! Aus-si! Frei-heit! Lassts die Therese aussa.«
Eigentlich hatte sie es gar nicht so eilig, hier rauszukommen. Eigentlich war es ganz gemütlich in Fredls Verhör- und Arbeitszimmer mit dem Plüschsofa, auf dem er sich an langen Nachmittagen vom Verbrecherfang ausruhte. Lucien saß nebenan, in der winzigen Küche der Polizeidienststelle, in der sich Akten
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