Paarungszeit: Roman (German Edition)
türmten, neben Tassen und einer Kaffeemaschine, die nur noch aus Kalk zu bestehen schien. Ihr Kerkermeister Fredl hatte Lucien gnädig ein Instrument gewährt, die winzige Gitarre, die Ukulele hieß und klang wie eine liebeshungrige Zikade in einer Sommernacht. Ihr hatte er zwei Butterbrezn vom Brunnhuber gewährt und einen Kaffee. Nicht aus seiner verkalkten Maschine, aus ihrem Café. Was auch das mindeste war. Nachdem er Lucien und sie wie Verbrecher behandelt hatte.
Nur ein einziges Paar Handschellen hatte er dabeigehabt, der Weidinger, aneinanderfesseln hatte er sie müssen, Lucien und sie, und ein Polizeifahrzeug war auch nicht vorhanden gewesen, er hatte von Anderl den Feuerwehr-Mannschaftswagen angefordert. Was Anderl nicht unbedingt recht war. Der Mannschaftswagen, ein Bus mit dem Emblem der Feuerwehrkapelle, wurde ansonsten vor allem für Trinkausflüge in die nähere Umgebung genutzt, und Anderl gedachte, ihn auch weiterhin für diese Zwecke zu schonen. Er weigerte sich, auch nur einen Meter weiter als bis zur Schranke am Forstweg zu fahren. Der Rest des Weges war voller Löcher von Baggern und Baufahrzeugen, nichts für empfindliche Stoßdämpfer, und Lucien und sie mussten angekettet einen halben Kilometer laufen. Eine Schande! Wenn ihre Wähler sie so gesehen hätten!
Aber weit und breit zeigte sich kein Wähler. Die Vögel zwitscherten, ein Sonnenstrahl schob sich zwischen zwei Bäumen hindurch, so wie Luciens Hand sich in ihre schob. Gefesselt oder nicht, sie wären sowieso Hand in Hand gegangen, da sollte der Weidinger ruhig missbilligend dreinblicken. Wenn man sich die Fesseln und den Weidinger wegdachte, war es beinahe wie ein Spaziergang im Wald, ein romantischer Spaziergang. Und nachher im Bus war Anderl so zartfühlend gewesen, nicht in den Rückspiegel zu schauen. Fredl fuhr mit seinem Motorrad gebieterisch voraus, Anderl hoppelte durch die Schlaglöcher des Fahrwegs, der auch hinter der Forstschranke nicht im besten Zustand war. Lucien Ledoux und Therese Engler hoppelten mit, Hand in Hand, zwischen Flaschen, Wimpeln, Mundstücken für Blasinstrumente und Bierseideln. Und als Lucien noch näher an sie heranrückte und ihr ein hörbares »Therese, je t’aime!« zuflüsterte, fing auch ihr Herz an zu hoppeln, Walzer, Chanson, Tango, alles auf einmal wollte es tanzen, und Lucien schaute sie an, abwartend, aus schimmernden grünen Augen, was sagte man auf »je t’aime«? Monoplü? Aber das erinnerte sie wieder an den Stehblues, an den vorausfahrenden Fredl. Ihre Atemluft reichte gerade noch für ein gehauchtes »Jo. Freili«, als Lucien seine ungefesselte Hand auf ihr Knie legte, freili, mei, was denn sonst, sie hatte keine Ahnung, wo das alles hinführen sollte, aber es fühlte sich großartig an. Und sie hatte auch noch eine Hand frei, mit der sie seinen Nacken streichelte, als er sich zu ihr beugte, um sie zu küssen.
Anderl, ganz Gentleman und Feuerwehrmann, brachte sie erst zum Gemeindehaus, wo sie Luciens Instrumente abholten, dann zur Polizeiwache. Vor der nicht nur ihre Wahlberaterin wartete, sondern auch eine aufgebrachte Menge. Sie könne sich in aller Ruhe in Polizeigewahrsam begeben, versicherte ihr Christiane, Susn gehe es gut, sie und Cedric seien in der Tauchschule. Und Fredl solle ruhig seinen Willen bekommen, es entwickle sich alles nicht schlecht, gar nicht schlecht.
Und es war wirklich nicht schlecht, hier in der Zelle zu warten, bis Fredls Vorgesetzter aus der Kreisstadt kam, um den Fall zu klären. Ein bisschen Ruhe tat gut nach all der Aufregung. Therese entledigte sich ihrer mörderischen Stiefel, streckte sich auf dem Sofa aus und wackelte mit den bestrumpften Zehen. Mei. Wenn sie nur daran dachte, was sie alles durchgemacht hatte! Das Rededuell, der verfrühte Siegestaumel, die Angst um Susn. Die überraschend nicht mehr diesen Flantsch liebte. Dabei hatte mit Susns Absicht, diesen Flantsch zu heiraten, doch alles angefangen!
Eigentlich eine merkwürdige Verkettung von Zufällen. Mit denen der Allmächtige im weiteren Verlauf ordentlich jongliert hatte. Zuerst waren Delphine de Brulées Bücher in der Bibliothek aufgetaucht. Kurz bevor Susn ihr Aufgebot bestellte und ausgerechnet Christiane Breitner Therese in harmlosem Tonfall fragte, ob eigentlich auch Susns Vater zur Hochzeit eingeladen werde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie keine Ahnung gehabt, dass Delphine de Brulée und Matt zusammengehörten, und sie wäre auch nicht im Traum daraufgekommen, bei ihrem ersten
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