Paarungszeit: Roman (German Edition)
stimmte das, wie spät war es denn? Sollte sie Fredl-Schatzerl fragen? Unmöglich, Fredl war beschäftigt. Er hielt Cedric in Schach, der von der Bühne gesprungen war und sich vor Alex Strobl aufbaute. Schon warfen andere Damen im Publikum ihre Regenmäntel ab, entblößten mit Blumengirlanden und Kettchen geschmückte, nur notdürftig verschleierte Bäuche. Ob die Neuenthaler Feuerwehrkapelle wohl auch etwas Orientalisches auf Lager hatte? Ob man so demokratisch eine Auftrittsmöglichkeit für beide Parteien schaffen …
Zu spät, die Bauchtänzerinnen stürmten die Bühne, und Delphine eilte zur Seitentreppe. Anderl fluchte, als die Bauchtänzerinnen über die Instrumente stolperten, Resi eilte ihm zur Hilfe, stampfte dabei über eine der kleinen Gitarren, und Lucien schrie auf.
Der nächste Moment: Ein Akkordeon, das vor Therese Englers Brust hing, festgeschnallt von Luciens zitternden Händen. Eine Gitarre drückte er ihr in die Hand, drängte sie zur Treppe, seinerseits ein Akkordeon vor der Brust, eine Gitarre auf dem Rücken, das zerbrochene Instrument in den Armen.
Vor der Bühne Gebrüll:
»MIT WEM ICH AN DEINEM PORSCHE KNUTSCHE, GEHT HIER NIEMANDEN ETWAS AN, DU SPIEßER!«
»DEINE VERLOBTE IST EINE SCHLAMPE, FLANTSCH!«
»BRUNZA! JETZT FANGST DIR OANE!«
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Hartl die Streitenden schon trennte, ihr Madl war in Sicherheit: Susn stand bleich, aber unversehrt neben Christiane Breitner, dieser Flantsch hatte einen Arm um sie gelegt. Auch hinter der Bühne Gerempel, Rufe: »Koa Sauerei auf dem Pfingstmarkt! Schluss jetza!« Und dann tauchten sie auf, anscheinend aus dem Nichts, die Jungs in Lederkleidung, Veit Strobls schnelle Plakat-Einsatztruppe.
Mit ihrer freien Hand griff Therese nach Luciens Arm, zog ihn in den Eingang der Gasse, wo die Metzgerei lag, der Brunnhuber-Bäcker und auch das Chez Lutz. Schritte hinter ihnen, Rufe, ob Freund oder Feind wusste sie nicht und wollte es auch nicht herausfinden. So schnell sie mit den schweren Instrumenten konnte, hastete sie durch die Gasse. Hatte das Chez Lutz nicht eine Seitentür, die direkt ins Treppenhaus des Gebäudes … Schon riss sie die Holztür auf.
»Come!«
Dunkel war’s im Treppenhaus, vom Gastraum des Chez Lutz her Musik, etwas Indisches, zum Glück hatten die meisten Restaurants zum Pfingstmarkt geöffnet. Akkordeon voraus polterten sie die Treppen hinunter, Lucien und sie, immer auf den Lichtschein zu.
Hier war doch die Toilette des Restaurants! Therese erinnerte sich an einen Toilettengang während eines Essens, als Christiane, Gina und sie nach Weingenuss gleichzeitig das Klo aufgesucht hatten. Eben noch herzhaft plaudernd, hatten sie plötzlich stumm in drei nebeneinanderliegenden Kabinen gesessen und darauf gewartet, dass es plätscherte. Zum Glück hatte Julia, die Frau des Chefs, für Beschallung gesorgt, in Form von Vogelgezwitscher. Und dieses Vogelgezwitscher empfing sie auch jetzt, als sie die Treppe hinunterstürmten. Von oben Stimmen, eine sich öffnende Tür. Sie zog Lucien ins nächste Klo. Eine Behindertentoilette, die gleichzeitig Wickelraum war, geräumig genug für zwei Menschen mit zwei Akkordeons vor der Brust. Plus zweieinhalb Gitarren.
Behutsam legte Lucien die verletzte kleine Gitarre auf die Plastikauflage des Wickeltisches. Dann drehte er sich zu ihr um, und sie standen einander gegenüber. Schwer atmend. Akkordeon an Akkordeon.
22.
D ie Sache zwischen mir und Alexander Strobl war im letzten Sommer passiert. Kurz bevor Timo und ich zusammengezogen waren. Timo hatte um eine »Auszeit« gebeten, um alleine zum Zelten zu fahren. Damals ahnte ich noch nichts von Goldflossy – wie ich jetzt wusste, hatten sie zu der Zeit schon gechattet, allerdings noch ohne einander Fotos ihrer Aquarien zu schicken und rein auf Fischprobleme bezogen. Aber mich quälte der Verdacht, er sei nicht allein. Die Tatsache, dass er nicht an sein Handy ging, bestärkte meine Befürchtungen. Wut und Verzweiflung brachten mich dazu, Alex Strobls Einladung in eine Münchner Disco anzunehmen. Auf der Rückfahrt, unter hämmernder Musik, dafür mit eingeschalteter Sitzkühlung, zeigte der Tacho zweihundertfünfzig an, und ich wusste nicht, wie ich ihm bei Pussy von Rammstein auf höchster Lautstärke klarmachen sollte, dass es angebrachter wäre, beide Hände am Steuer zu lassen. Aus Angst vor einer unkontrollierten Bewegung, die uns mit Sicherheit in den Tod reißen würde, traute ich mich nicht, seine Hand
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