Paarungszeit: Roman (German Edition)
wegzuschieben, und als wir endlich von der Autobahn auf die Schnellstraße abfuhren, war ich schon beim dritten Vaterunser. Auf der Landstraße (immer noch hundertachtzig) schwor ich, Timo alle Freiheiten zu geben, die er sich wünschte, und trotzdem nie mehr einen anderen Mann als ihn auch nur von weitem anzusehen. Kurz vor Neuenthal auf der kurvigen Uferstraße (hundertfünfzig, nur ein Geländer trennte uns vom See) war ich bereit, mich der Welt nur noch verschleiert zu zeigen. Als Strobl plötzlich anhielt, wünschte ich mir statt des Schleiers eine Komplettburka, denn seine Hände waren überall, aber nicht nur die Hände … Er hatte seine Schuhe ausgezogen, oder war er tatsächlich in Socken gefahren? Diese Möglichkeit trieb mir noch nachträglich den Schweiß auf die Stirn. Zitternd wehrte ich mich gegen die Hände, nur um seinen besockten Fuß an meinem bloßen Bein hochklettern zu fühlen. Und in diesem Moment sandte Gott oder Allah oder wer auch immer Hilfe in Form eines klingelnden Handys. Zum Glück war Alex Strobl so wichtig, dass er nachts um drei geschäftliche Anrufe aus den USA bekam. Zumindest behauptete er das. Vielleicht hatte er in irgendeinem Flirtforum gelesen, so etwas mache Frauen scharf.
Ich riss die Tür auf, stürzte hinaus. Strobl hatte an der romantischsten Stelle des Neuenthaler Strands geparkt, nicht weit von der Tauchschule entfernt. Quirin öffnete auf mein verzweifeltes Sturmklingeln, und den Rest dieser unsäglichen Nacht verbrachte ich mit dem Versuch, ihn davon abzuhalten, Alexander Strobl zu vermöbeln.
Die Fehde zwischen ihm und Alex war alt, sie hatte in der Grundschule begonnen, als Alex sich im Unterricht in die Hose gemacht hatte und fortan nur noch der Brunza genannt wurde, ein Spitzname, gegen den er sich durch gezieltes Petzen wehrte. Und heute, beim Pfingstmarkt, hatte Alex Strobl sein Petztalent wieder gründlich zur Schau gestellt, indem er Susn Engler eine Schlampe nannte. In aller Öffentlichkeit. Und in Gegenwart ihres Verlobten Timo Flantsch. Wie peinlich konnte es denn noch werden?
Zum Glück, wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von Glück sprechen konnte, war die Attacke nicht völlig überraschend gekommen. Timo wusste bereits von der Knutscherei am Porsche. Ich hatte ihm alles gestanden, bevor wir zum Pfingstmarkt fuhren:
Das Hardrock-Konzert.
Die nasse Wiese.
Sisypussis Rettung.
Meine Verwirrung. Auch wegen Goldflossy.
Meine Angst, Timo würde mich verlassen.
Meine Angst vor einer Panne bei meiner Märchenhochzeit, von der ich geträumt hatte, seit ich ein kleines Mädchen war. Gerade weil über Thereses Hochzeit immer wieder Gerüchte umgingen.
Die laute Musik an diesem Abend, die jeden vernünftigen Gedanken zerdröhnte.
Meine Freude, als Cedric mich als begabt bezeichnete.
Unser gemeinsamer Übermut.
Das Bier, das Cedric getrunken hatte und nicht vertrug.
Zumindest hatte er dies behauptet, als er sich entschuldigte, nach dem Kuss und der Szene an Strobls Porsche: Er wisse nicht, was in ihn gefahren sei, er sei wohl betrunken, es tue ihm leid.
Cedric habe eine Freundin und wolle nichts von mir, versicherte ich Timo in unserem Wohnzimmer, vor hundert stummen, vorwurfsvoll glubschenden Fisch-Zeugen. Timo machte mir keine Vorwürfe. Er sei zwar eifersüchtig, aber er verstehe mich. Er selbst bereue die Sache mit Goldflossy so sehr.
Was meinte er mit »die Sache«? Hatte er sie etwa getroffen? War etwas zwischen ihnen passiert?
Wir sollten einfach all das vergessen, sagte Timo, und ganz von vorn anfangen. Zusammen eine kurze Auszeit nehmen. Wir würden doch sowieso am nächsten Wochenende zum fünfundsechzigsten Geburtstag seines Vaters fahren. – Oh Gott! Dieses Ereignis hatte ich erfolgreich verdrängt! Wir könnten einfach das Zelt einpacken, einen Tag früher losfahren und uns irgendwo in der Natur ein schönes Plätzchen …
»Nein! Ich hasse schöne Plätzchen! Ich hasse Zelten!« Was rutschte mir da heraus? Wo Timo doch so verständnisvoll war!
»Aber Schatz … Wir … wir waren doch so oft zelten. Weißt du noch an diesem See in Österreich, wo wir tauchen waren …« Er sah mich aus großen, schokopuddingbraunen Augen an. »Warum hast du mir das denn nicht längst gesagt? Dann gehen wir eben in ein Hotel.«
»W… wirklich? Das würdest du tun? Für mich?«
»Natürlich, Schatz, du musst einfach nur sagen, was du willst.«
»Äh, was … ich … äh … will?«, stammelte ich und schaute mit leerem Blick zu, wie
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