Paarungszeit: Roman (German Edition)
Pu der Bär vorgelesen hatte, bevor sie allein in den Sonnenuntergang über dem Brachsee geritten war. Aber Delphine, so viel stand fest, würde nicht aus Pu der Bär lesen, und beachtlich viele Menschen waren zusammengekommen, um sich diese Sauerei nicht entgehen zu lassen. Sie erkannte Resi, festlich gekleidet, neben ihr Amrei mit Mann, Toni, Kathi und ihr derzeitiger Freund aus Mohnau, Maria aus der Pension Seerose, die seinerzeit bekifft mit einer Zimmerpflanze gesprochen hatte – warum erinnerte sich niemand an diesen Skandal? Warum war ein Mannsbild in einem Dirndl so viel schlimmer? Susn, ohne Schirm, ohne Kopfbedeckung, mit diesem Flantsch, sie hielten einander an den Händen. Blass sah ihr Madl aus, war es krank oder etwa … nein, sie wollte sich kein Enkelkind mit dem Flantschschen Mund vorstellen! Hinter ihnen Franzi, Judda, Üwe, die Yoga-Ananas-Schnoin mit der gesamten Bauchtanztruppe, der Mohnauer Metzger, der für diese Lesung seinen Stand seiner Gemahlin überlassen hatte, sie alle mischten sich unter die Touristen, die nach bayerischem Brauchtum lechzten. Am Bühnenrand baute sich schon die Blaskapelle auf, Therese hörte Lucien leise fluchen, als eine seiner kleinen Gitarren umfiel. Einen Moment dachte sie an ihre Übungen im Gartenzimmer, dann trat sie nahe ans Mikrophon, und machtvoll strömten die Worte aus ihr heraus. Von der Zukunft sprach sie, einer friedlichen, toleranten Zukunft, in der sich hohe Kultur und Schweinsbraten nicht ausschlossen. Und jetzt werde die weltberühmte Schriftstellerin Delphine de Brulée sie alle gleich in den Himmel der Literatur entführen.
»In a Himmel bett vielleicht, die Britschn!« Toni, wer sonst, musste die winzige Pause für diesen niveaulosen Zwischenruf nutzen. Und die Seerosen-Maria kicherte dazu, als wäre sie immer noch sechzehn und bekifft.
»Merci beaucoup, Theräsö!« Delphine de Brulée erhob sich, und prompt verstummte das Gezischel. Mit zarter, dennoch durchdringender Stimme lobte Delphine die Neuenthaler Gemütlischkeit und das ’eimatgefühl, Wörter, die sie in ihrer französischen Rede deutsch aussprach, eben weil die Franzosen dafür keine Begriffe hatten. Und aus diesem gemütlischen ’eimatgefühl heraus habe sie sich etwas ganz Besonderes überlegt: Sie werde heute diejenigen Stellen aus ihren Büchern vortragen, die ihr Lektor zensiert … An dieser Stelle unterbrach Cedric seine Übersetzung, redete Französisch auf Delphine ein, und ein Raunen ging durch die Menge.
»Es is ihr no ned versaut genug!«
»Ausgschamte Britschn!«
»Nü ja, das mid der Zensur hat ooch bei üns nisch geglabbd, wir ham die Geschichte der Ö äben ünder der Bettdecke geläsen!«
Zwischen Delphine und Cedric war es zu einem kleinen Handgemenge gekommen, sie entriss ihm seinen Stapel Blätter, er versuchte, ihn wieder zu entwenden. Gut, dass Therese Engler noch auf der Bühne wartete, schnell gab sie der Kapelle ein Zeichen. »Oans, zwoa, drei, vier!«, zählte Anderl prompt, fing dann als Einziger an mit zwei tapfer marschierenden Basstönen, der Rest der Kapelle setzte nacheinander ein. Etwas Ähnliches wie der Holzhackermarsch erklang, noch schräger als gewohnt, Herrgottsakra, hatte der Trompeter, der auch zu den Stammtischbewohnern der Feuerwehrkneipe gehörte, sich etwa schon den einen oder anderen Schnaps genehmigt? Endlich übernahm Lucien die Melodie, und schon nach wenigen Takten begannen die Schirmspitzen sanft zu schwanken. Delphine und Cedric schienen sich auch geeinigt zu haben, ordneten ihre Stapel. Nachdem die französisch beschwingten Holzhackerbuam mit einem nachklingenden Basston Anderls geendet hatten, begann Delphine zu lesen. Eine Stelle aus den Lustschreien, die Therese bereits kannte: Man befand sich in einer Patisserie in Paris, verschiedene Obsttörtchen waren im Spiel, Anlass zu fein modellierten Wortspielen, Pfirsiche, Mandarinen und Bananen betreffend, und zu Kommentaren aus dem Publikum:
»Nehmts do a lieba a Zwetschgendatschi zum Schnacksln!«
»Weeßte noch, Üwe, sechsündachtzig, da hats plötzlisch Südfrüchte gegäben, des wor wie im Paradies!«
»Nee, des wor Tschernobyl. Gurken ooch! Die ganze Westwore!«
Immer mehr Leute strömten nun auf den Platz. Therese sah Fredl herannahen, streitlustig und breitbrüstig, die Strobls mit dem Pfarrer im Schlepptau, sie erkannte den Bäcker Brunnhuber mit Frau und Tochter und hinter ihnen … Kruzifix! Sie beugte sich vor: Der Mann trug zwar einen breitkrempigen Hut, aber
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