Paarweise
Erfüllen der definierten Aufgaben und der informellen Pflichten, so heißt heute der wiederum informelle Auftrag: möglichst intensiv leben, nur nichts verpassen. »Das Bessere ist der Feind des Guten«, meinte schon Voltaire.
Beispiel
Beim Weinkauf wurde es empirisch untersucht: Reduziert man das Angebot, kauft der Kunde eher. Weil die Vielfalt überschaubar ist. Weil man hier mit den gewohnten Recherchemustern und Entscheidungsschritten noch klarkommt.
Übrigens: Die elektronischen Medien sind vielen Menschen Segen und Fluch zugleich, nicht weniger für die Partnerschaft.
Trotz des Vorteils der raschen Erreichbarkeit lag bei etwa dreißig Prozent meiner Paarberatungs-Klienten der Auslöser für die Therapie in einer versehentlich geöffneten Mail oder in einer SMS, die nicht für die Augen des Partners gedacht war! Viele Menschen melden sich mit einem Pseudonym bei einer Partneragentur an, wenn sie noch gebunden sind. Das kommt in meiner Paartherapie-Praxis häufiger vor als vermutet. Ein Betrug auf drei Ebenen: Beim bestehenden Partner, der auf Vertrauen baut, beim neuen Flirt, der auf Hoffnung baut, und beim Betrüger selbst, der doppelte Schuldgefühle erzeugt, auch wenn er sie nur unbewusst spürt. Und häufig sind die Anmeldungen der erste Schritt zur Trennung. Weil es ja so leicht ist, sich zu trennen, anstatt den Konflikt zu lösen. Zu flüchten, anstatt standzuhalten. Zu warten auf die oder den Nächste/n, anstatt vorübergehend allein zu leben.
Aber es gibt ja immer noch eine Steigerung: Nicht den Partner wie das Bäumchen wechseln, sondern alles haben wollen: eine feste Beziehung für die Sicherheit plus das organisierte Fremdgehen für die Abwechslung. Dafür sind dann Seitensprungagenturen zuständig – die haben gerade noch gefehlt, um den Untergang der bisherigen Beziehungskultur zu dokumentieren.
Partnerschaftsagenturen
Zahlreiche Internet-Anbieter versprechen sofortige Verfügbarkeit von unzähligen Alternativen. Fällt da die Entscheidung für einen Partnerwechsel nicht viel leichter? Ähnlich dem Gefühl, wenn man weiß, dass man nur noch kurze Zeit
zu leben hat: Würde man nicht auch dann seine Möglichkeiten voll ausschöpfen? Die sofortige Verfügbarkeit gaukelt dem frustriert Gebundenen jedenfalls vor, er könne leicht Alternativen finden. Doch wenn er dann wirklich auf die virtuelle Pirsch geht, ist es mühsam, sich zu entscheiden. Insbesondere kann sich eine gewaltige Kluft auftun zwischen Schein und Sein, zwischen dem Bild, das man ihm gemacht und geschickt – oder geschickt gemacht – hat und der Realität beim ersten Treffen, wenn man den anderen auch hört, riecht und spürt.
Klappt es aber von beiden Seiten, und sie beschließen eine Art »Verlobung«, einen Akt »Lass uns zusammen gehen und eines Tages vielleicht zusammenziehen und mehr«, dann kommt eine ganz spannende Szene ins Spiel der Partnerschafts-Gestaltungs-Dramaturgie: Beide verschwinden hinter ihren Notebooks oder ähnlichen Netz-Zugängen, beenden die Dialoge mit den favorisierten Alternativ-Partnern und löschen den Account des Portals. Viele Paare machen das gemeinsam, als demonstrativen Akt der exklusiven Entscheidung, und auch, um sichergehen zu können, dass die große Verführungsquelle der möglichen Mehrgleisigkeit hiermit versiegelt wurde.
Von der mangelnden Frustrationstoleranz
Eine Gesellschaft, in der alles möglich und verfügbar ist, steigert auch die Erwartung, dass Bedürfnisse sofort befriedigt werden müssen. Da ist kein Platz für Geduld, auf etwas warten können, für Gelassenheit. Da wird kein Mangel durchgestanden,
keine Entbehrung gemeistert. Ich nenne das den »Standard der rundumversorgenden Instant-Befriedigung«. Man hat gegen alle möglichen Abweichungen vom Soll-Zustand externe Vehikel, die das Funktionieren und das Wohlbefinden wiederherstellen helfen.
Beispiel
Die Menschen gehen mit der Wasserflasche in der Hand durch die Straßen. Verspüren sie auch nur einen Anflug von Durst, nehmen sie einen Schluck. Oder Kopfschmerzen: Da wird rasch eine Tablette eingeworfen. Gegen Müdigkeit gibt es an jeder Ecke einen Coffee-to-go, und an der Tankstelle Energiedrinks rund um die Uhr.
Woher soll bei einer Rundumversorgung mit sofortiger »Instant-Befriedigung« automatisch die Fähigkeit kommen, mit Triebaufschub (z. B. Warten) und Frustration (z. B. Verzicht) umzugehen? Denn die Partnerschaft mit ihren immanenten Spielregeln, laufend Konsens und Kompromisse zu bilden, schreit geradezu
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