Paarweise
offene Gesprächskultur existiert, wird sich weder lähmende Passivität noch schwelende Aggression einschleichen können. Wichtig dabei ist es, Gefühle auszusprechen, den Partner ausreden zu lassen, zuzuhören, nachzufühlen, nachzudenken, zu antworten. Bei der Therapie ist es wichtig, die Ursache des Stresses zu erkennen. Hat er äußere oder innere Ursachen? Innerer Stress kann beispielsweise entstehen, wenn man seinen eigenen Ansprüchen nicht genügt oder es persönlich nimmt, wenn etwas nicht gelingt.
Fallbeispiel: Abstand gewinnen von der Arbeit
Es ist ein Abend wie jeder andere. Samuel kommt von der Arbeit nach Hause. Der Job belastet ihn, sein Kopf wird nicht frei, er spürt den Stress im ganzen Körper. Den ganzen Tag Hektik. Den ganzen Tag diese Ungerechtigkeiten, diese miesen Spiele der Kollegen und Kunden. Und dauernd das Gefühl, dass der Job nicht sicher ist, dass man sich keine Beschwerde über die laufende Zunahme des Arbeitspensums leisten kann. Weil man dann womöglich als nicht belastbar gilt und gehen kann, in eine ungewisse Zukunft. Das Haus ist noch nicht abbezahlt. Die Kinder kosten Geld … Die Kinder – wie gerne sieht er sie abends noch, bevor sie schlafen gehen, wie gerne würde er ihnen eine Geschichte erzählen und von den Freuden und Sorgen ihres heutigen Tages hören.
Er schließt die Tür auf, und schlagartig ist der Traum vom herzlichen
Vater-Kind-Verhältnis geplatzt. Die Kinder bestürmen ihn und wollen im Zeitraffer alles mitteilen, was sie den Tag über erlebt haben. Parallel dazu ruft ihm seine Frau zu, was heute alles passiert ist, fragt seine Meinung ab, möchte, dass er sie versteht und ihre Empfindungen teilt.
Er merkt, und das geht ihm eigentlich jeden Abend so, dass er gar nicht aufnahmefähig ist. Am liebsten würde er nur seine Wunden lecken. Er wünscht sich, ihm hörte jemand zu, würde ihn trösten, streicheln, für ihn da sein, ihn bewundern, belohnen für die ganze Tagesmühe. Bekommen, das ist es, was er jetzt will, oder in Ruhe gelassen werden, um zur Ruhe zu kommen. Stattdessen soll er geben: Doch er hat nichts zu geben. Er ist leer, ausgepowert, einfach gestresst und erschöpft.
Im Coaching besprechen Samuel und ich dieses Systemproblem, das sich so oft wiederholt. Indem er dann unwirsch und ungeduldig reagiert, sich verhält wie jemand, der er nie sein wollte: Dann redet er seine Kinder schroff an oder sagt immer wieder dasselbe: nicht jetzt! Die Kinder aber wollen genau jetzt, wo er endlich da ist, ein spürbares Interesse für ihre Belange erfahren, ersehnen sein Engagement in die Begleitung ihres jungen, neuen Lebenswegs. Es ist wichtig, dass sie sagen können: »Schau mal, was ich kann.« Dass jemand davon beeindruckt ist und verstärkt, vermittelt, dass man es gut gemacht hat und dass man geliebt wird.
Job - Partnerschaft - Ich-Bereich
Wir beschließen eine neue Strategie, denn natürlich soll es so nicht weitergehen. Auf Anhieb bieten sich zwei Alternativen an: Die erste Variante nenne ich »Currywurstbuden-Strategie«: in Berlin sicher einfach machbar (in anderen Regionen entsprechend lokal zu adaptieren). Nach der Arbeit, und zwar bevor er nach Hause fährt, nimmt er noch einen Abstecher zur Currywurstbude. Dort trifft er einen interessanten Gesprächspartner, gönnt sich einen Happen und spricht einfach kurz über seinen Stress, über Fußball oder ein aktuelles Tagesereignis, was immer ihm gerade einfällt. Wenn er nun nach Hause kommt, weiß er durch diese Ablenkung, was ihn erwartet und freut sich, dass sich alle über sein Kommen freuen und ihm erzählen wollen, wie der Tag war. Nun hat er die Kraft, zu geben. Die zweite Variante ist, sich zuhause eine Auszeit zu gönnen. Anstatt sich gleich ins Familienleben zu stürzen, sucht man ein Zimmer auf, in dem man ungestört bleiben und zu sich kommen kann. Autogenes Training, Zeitung lesen, irgendein Ritual hilft, von der Arbeit abzuschalten. Duschen und sich legere
Klamotten anzuziehen, vermittelt dem Unterbewusstsein das deutliche Signal: Jetzt bist du privat, dein eigener Herr.
Bei den meisten Familien wird diese bewusste Work-Leisure-Balance nicht gelebt. Vielmehr ist jeder Abend von Spannungen geprägt, die sich bis in den Schlaf übertragen und sogar noch den nächsten Tag prägen. Der dann abends wieder genauso aussehen wird, wie bei dem Film »Und täglich grüßt das Murmeltier«.
Wenn Aggression zerstörerisch wird
Fallbeispiel: Frust entladen
Ein emotional nicht souverän
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