Paarweise
wird und der abends, statt das Nachtleben zu erkunden, lieber einen Vortrag »über das Nachtleben von Paris« hört.
Was sein Vorgesetzter an ihm schätzt sind Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, seine klare Trennung von Beruf und Privatleben; sein Ordnungssinn und seine Verlässlichkeit werden dann zum Problem, wenn es um Teamarbeit geht. Denn er will rasch zu Lösungen kommen, die einmal getroffenen Entscheidungen mit aller Gewalt durchsetzen und gegen alles und jedes verteidigen, selbst, wenn sie vielleicht inzwischen überholt sind. Flexibilität und Offenheit für neue Verhältnisse sind ja genau die Bereiche, die vermieden werden, die er selbst als bedrohlich erlebt. Nur äußert er sich darüber selten spontan, er fühlt sich eher unverstanden und abgelehnt, weil er Schwierigkeiten und Widerstand erlebt, obwohl er in seinen Augen doch alles richtig gemacht hat und sich sogar besonders bemüht hat.
Verständlich, dass so ein Mensch dazu tendiert, zum Sonderling zu werden, oder, um sich des Wohlwollens der Vorgesetzten zu versichern, zum »Radfahrer« wird, der nach oben buckelt, dafür aber nach unten tritt. Was ihm fehlt, wird ihm im Berufsleben beigebracht werden. Denn seine offiziell erwünschten Verhaltensweisen werden meist nur im persönlichen Kontakt mit ihm problematisch. Schließlich entspricht er weitgehend dem Menschen nach Vorschrift. Man fürchtet
seine streikähnlichen Aktivitäten; wenn Zollbeamte Dienst nach Vorschrift verrichten, bricht der normale Grenzverkehr zusammen, das zum Leben gehörige Maß an relativierenden Regeln wird nicht angewandt, und schon läuft nichts mehr.
Eigentlich ist dieses Beispiel eine sehr eindrucksvolle Analogie dafür, dass der Mensch eben nicht alles mit einmal fixierten Regeln kontrollieren kann, dass da immer noch etwas Spielraum für Zufälle, für das Schicksal, für die Ausnahmen und für die Möglichkeiten der Entwicklung sein muss. Selbst die genauestens berechneten Brücken über die Alpentäler sind mit einem gewissen Spiel auf Rollen gelagert, auf denen sie je nach Temperatureinfluss »gehen können«, also nicht ganz starr, sondern leicht beweglich sind. Wie ein Hochhaus, das im obersten Stock seinen tonnenschweren Pool bekommt, damit es angemessen schwanken kann und damit stabiler ist. Selbst scheinbar zeitlose Statik repräsentierende Gletscher »wandern« ja. Sogar unsere riesigen Erdteile sind nicht statisch, sie schwimmen auf der Erdkugel und verändern stets leicht ihre Position. Diese Einsichten in stete Wandlungen müssen vom Beständigen laufend verdrängt oder verleugnet werden. So finden die größten Schwierigkeiten eigentlich in ihm selbst statt, weil er immer wieder vom Leben selbst mit der Tatsache konfrontiert wird, dass er im Vergleich zu anderen, offenbar glücklicheren Menschen einseitig ausgerichtet und unflexibel lebt.
Oft erhält er diese Einsicht erst in einer Therapie, insbesondere in einer Gruppentherapie, in der er sich wieder einmal im Recht, aber letztlich als Außenseiter oder Unverstandener fühlt. Zur Therapie kam er mit derart großen Ängsten vor der
Wahrheit selbstverständlich nicht direkt freiwillig, sondern meist über den Umweg neurotischer oder psychosomatischer Symptome.
Stellen Sie sich einmal vor, wie viel Energie allein dafür verwendet werden muss, den Lebensprozess so statisch wie möglich zu gestalten und sich auch noch vor den ringsum sichtbaren Zeichen gesunder Veränderung zu schützen. Typisch sind für ihn Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Verdauungsbeschwerden, alles Symptome, die mit Verspannung, Aggression, Unterdrückung und Blockierung zu tun haben. In der Therapie erfährt er dann oft unter schmerzlichen Windungen und Ausflüchten, dass er sich mit der Tatsache abfinden muss, dass Leben lernen bedeutet, dass es keinen vollkommenen Menschen, ja nicht einmal einen fertigen Menschen geben kann, im Gegenteil: Richtig zu leben, heißt, mitten im Lebensweg einer neuen Erkenntnis gemäß die Richtung ändern zu können.
Der Beständige als Partner
Wer noch außer ihm leidet, ist sein Partner. Denn gerade Partnerschaft ist der Lebensbereich, in dem einmal verabredete Abmachungen laufend modifiziert werden müssen – sie wollen schließlich gelebt sein. Jeder ist einen Tag später einen Tag älter, zum Teil reifer, aber auf alle Fälle der Vergangenheit einen Tag weiter entwachsen. Diese Distanz zu gestern ermöglicht Lernen, also etwas Passenderes mit der Umwelt und anderen Menschen zu
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