Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
die Leash. Einerseits hilft das den Rettungskräften, einen unter Wasser in der Aufprallzone festsitzenden Surfer zu finden, weil das Boardan die Oberfläche treibt und wie ein Grabstein anzeigt, wo sich der Surfer befindet, so dass man nur noch an der Leash entlangtauchen muss. Auf der anderen Seite aber kann sich die Schnur in Felsen oder Korallenriffs verheddern und den Surfer unter Wasser festhalten.
Daher der leicht lösbare Klettverschluss, und jetzt übt Sunny, ihn zu lösen. Sie bindet sich die Leash um das Fußgelenk und legt sich flach auf den Boden, dann beugt sie sich vor und reißt den Klettverschluss auf, zieht die Leash ab. Zehn Mal macht sie das aus einer liegenden Position heraus, dann rollt sie sich zur Seite und macht es noch weitere zehn Mal jeweils von der rechten und der linken Seite. Dann legt sie ihre Füße auf die Sofalehne, legt sich auf den Boden, stemmt sich hoch und reißt das Klettband auf. Durch die Übung kräftigt sie ihre Unterleibsmuskeln, was ihr eines Tages das Leben retten könnte, wenn sie unter Wasser festsitzt und gegen die Strömung Rumpfbeugen machen muss. Darüber hinaus geht es auch um mentale Disziplin, darum, die Bewegung in der ruhigen, trockenen Wohnung einzustudieren, bis sie so automatisch abläuft, dass sie ihr auch unter Wasser, mit brennenden Lungen und einem explodierenden Ozean über dem Kopf keine Probleme bereitet.
Zufrieden mit dem Manöver steht sie auf, geht in die schmale Küche und kocht sich eine Tasse grünen Tee. Sie nimmt den Tee mit an den Tisch, schaltet ihren Laptop ein, loggt sich unter www.surfshot.com ein und überprüft das Anwachsen der Wellenfront.
Auf der elektronischen Pazifikkarte taucht sie als wirbelnder roter Klecks auf, der jetzt um Ventura County herum anschwillt. Die Crews da oben werden morgen früh im Wasser sein, große Wellen reiten und in die Zeitschriften kommen.
Aber die Wellenfront bewegt sich ganz klar nach Süden.
Sie bleibt auf der Seite und checkt die Treibbojenberichte,die Wassertemperaturen, Wettervorhersagen und Windrichtungen. Nur eine perfekte Mischung von allem erzeugt eine richtig große Wellenfront. Fällt auch nur ein einziges Element aus, ist möglicherweise alles dahin. Wird das Wasser zu warm oder zu kalt, dreht der Wind von landauswärts nach landeinwärts …
Sie geht zu ihrem kleinen Altar aus einem Fichtenholzbrett auf Betonsteinen. Auf dem Brett steht eine Statue von Guanyin, eine kleine Buddhabüste, ein Foto des lächelnden Dalai Lama und ein kleines Weihrauchgefäß. Sie zündet ein Räucherstäbchen an und betet.
Bitte Guanyin, bitte mach, dass sie nicht da draußen verendet, sich selbst in der Rundung der South Bay wegbläst. Bitte, barmherziger Buddha, mach, dass sie zu mir rollt. Bitte mach, dass sie ihre Wucht und Kraft nicht verliert, das Potenzial, Leben zu verändern, bevor sie bei mir ankommt.
Ich habe Geduld bewiesen, Ausdauer und Disziplin.
Jetzt bin ich an der Reihe.
Om mani padme hum.
Juwel im Lotus.
Das Leben wird sich verändern, denkt sie, egal was morgen passiert.
Falls ich einen Sponsor finde und Profi werde – nein, korrigiert sie sich, nicht falls – wenn ich einen Sponsor gefunden habe und Profi geworden bin, werde ich viel reisen, durch die ganze Welt. Ich werde nicht mehr im Sundowner arbeiten, nicht mehr mit der Dawn Patrol rauspaddeln.
Und Boone?
Boone wird Pacific Beach nie verlassen.
Er wird sagen, dass er das so will, wir werden einander versprechen, uns immer Zeit für den anderen zu nehmen, wir werden darüber reden, dass er mich besuchen kommt, wo auch immer ich bin, aber das wird nicht passieren.
Wir werden uns auseinanderleben.
Und das wissen wir beide.
Der Fairness halber aber muss man sagen, dass Boone sie immer unterstützt hat.
Sie erinnert sich an das Gespräch, das sie vor zwei Jahren hatten, als es ihr so schwer fiel, sich zu entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Sie lagen zusammen im Bett, die Sonne kroch gerade durch die Jalousien. Er hatte, wie immer, geschlafen wie ein Stein. Sie hatte sich hin und her geworfen.
»Bin ich gut genug?«, hatte sie ihn aus heiterem Himmel gefragt.
Aber er wusste ganz genau, was sie meinte. »Absolut gut genug.«
»Ich glaube auch«, sagte sie. »Ich denke, ich muss es jetzt ernsthaft angehen. Mich darauf vorbereiten, meine Chance zu nutzen.«
»Das solltest du«, sagte er. »Du könntest nämlich groß rauskommen.«
Das könnte ich, denkt sie jetzt.
Ich kann’s.
Ich werde es
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