Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
sind. Einige wird es ins Wellental ziehen, die kriegen die volle Wucht und das Gewicht der niederschmetternden großen Wellen zu spüren. Jemand wird sie da rausholen müssen, und dieser Jemand wird wahrscheinlich Dave sein. Die ganze Nacht rausfahren und dann in eine Situation zurückkommen, in der er absolut auf der Höhe sein muss, ist keine gute Idee.
Er will morgen niemanden verlieren.
Dave the Love God lebt sein Leben nach der Maxime, dass jeder gerettet werden kann. Würde er nicht so denken, könnte er morgens gar nicht aufstehen, trotz aller gegenteiligen Beweise und seiner persönlichen Erfahrung.
Die Wahrheit ist, dass er durchaus schon Leute verloren hat, ihre blauen und aufgedunsenen Körper aus dem Wasser gefischt und zugesehen hat, wie die Rettungssanitäter versuchten, sie wiederzubeleben, obwohl sie wussten, dass ihreMühen umsonst sein würden. Manchmal nimmt der Ozean und gibt nichts zurück.
In solchen Nächten schläft er nicht.
Obwohl er seinen Schützlingen etwas anderes erzählt – man tut sein Bestes und lässt dann los –, lässt Dave nicht los. Vielleicht liegt es an seinem Ego, an seinem Gefühl, im Wasser allmächtig zu sein, aber Dave glaubt von tiefstem Herzen, dass er jeden retten, jedes Mal rechtzeitig kommen und dem Ozean seine Opfer entreißen sollte.
Vier Menschen hat er verloren. Einen Teenager, der auf einem Bodyboard rausgezogen wurde und in Panik geriet. Einen alten Mann, der draußen vor dem Break einen Herzinfarkt erlitt und unterging. Eine junge Langstreckenschwimmerin, die ihr tägliches Training von Shores rüber nach La Jolla Cove absolvierte und müde wurde. Und ein Kind.
Das Kind, ein kleiner Junge, war am schlimmsten.
Natürlich war es das.
Die kreischende Mutter, der stoische Vater.
Bei der Beerdigung bedankte sich die Mutter bei Dave, weil er den Leichnam ihres Sohnes geborgen hatte.
Dave erinnerte sich, wie er nach ihm getaucht war, ihn gepackt hatte und in dem Augenblick, in dem er den schlaffen Arm des Jungen berührte, gewusst hatte, dass er nie wieder nach Hause zurückkehren würde. Er erinnerte sich, wie er ihn an Land getragen und gesehen hatte, wie sich die Hoffnung im Gesicht der Mutter in Schmerz auflöste.
Am Abend der Beerdigung kam Boone mit einer Flasche Wodka vorbei, und sie betranken sich. Boone saß einfach nur da und schenkte nach, während Dave heulte. Boone brachte ihn in jener Nacht ins Bett, schlief auf dem Boden neben ihm und kochte ihm morgens Kaffee, bevor er zum Frühstücken in den Sundowner ging.
Sie sprachen nie wieder darüber.
Vergaßen es aber auch nicht.
Manche Dinge vergisst man nicht.
Man wünscht sich nur, man könnte sie vergessen.
Und die Chancen, morgen noch jemanden zu verlieren, stehen nicht schlecht, denkt Dave und geht im Kopf die Liste der hochbegabten, erfahrenen Surfer durch, die in den letzten Jahren bei dem Versuch ums Leben kamen, die ganz großen Wellen zu reiten. An jenen Tagen waren auch Rettungsschwimmer da draußen, großartige Schwimmer, die taten, was sie konnten, aber das war nicht genug.
Was der Ozean will, das nimmt er sich.
Also unterbricht er jetzt Eddies polyglotten Bewusstseinsstrom und sagt: »Tut mir leid, Bruder, aber heute Nacht läuft nicht.«
»Muss aber heute Nacht sein«, sagt Eddie.
»Dann such dir jemand anderen.«
»Ich will aber dich.«
Er nennt den Preis – für das Geld muss Dave drei Monate lang Leute aus dem Wasser fischen. Drei verfluchte Monate lang auf dem Ausguck sitzen und nach Menschen Ausschau halten, die anschließend nach Hause gehen, zu ihren Familien, zu ihren Bankkonten und ihren Treuhandfonds.
Dann sagt er: »Wenn du mich heute Nacht hängen lässt, David, musst du nicht wiederkommen. Du kannst mit deinem Rettungsschwimmergehalt in Rente gehen, vielleicht Zeitungen austragen oder Burger wenden, Bruder.«
Scheiß drauf, denkt Dave.
Ich bin nicht George Freeth.
112
Sie haben keine Ahnung von der Welt da draußen. Beim Verlassen von Tammys Wohnung denkt er darüber nach, steigt in den BMW und fährt los. Es wird dunkel, unddie Straßenlaternen schalten sich ein; der Ozean ist schiefergrau und wird immer schwärzer.
Was wolltest du mir damit sagen, Tammy? denkt Boone.
Okay, noch mal von vorne.
Tammy hat ein Bild von einem Mädchen namens Luce in ihrem Apartment. Teddy verschwindet im Schilf bei den Erdbeerfeldern und kommt, beschützt von einer Bande bewaffneter Mojados, kurze Zeit später mit ebenjenem Mädchen wieder heraus. Er bringt sie in
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