Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
flanieren.
Gidget zog einen ganzen Schwung nicht weiter erwähnenswerter Strandfilme nach sich, in denen nur Annette Funicello – ehemals Mickey-Mouse-Club und jetzt mit Bikini statt Mäuseohren – bleibenden Eindruck hinterließ. In diesen Filmen waren gut aussehende Männer wie Frankie Avalon und aufregende Babes wie Annette zu sehen. Sex fand lediglich als vage Andeutung statt – in Beach Blanket Bingo aus dem Jahr 1965 kam nie heraus, was sich tatsächlich unter der Decke abspielte. Es gab immer einen »Beatnik« mit Baskenmütze und Ziegenbart, der herumlief und Bongos trommelte, und die »Kids«, die am Strand zur Musik tanzten.
Surfmusik.
Auch diese war den jüngsten technischen Errungenschaften zu verdanken.
1962 entwickelte die Firma Fender ein Halleffektgerät, das den hohl klingenden, »nassen« Sound erzeugte, der zum Markenzeichen der Surfmusik wurde. In demselben Jahr setzte der unsterbliche Dick Dale den Halleffekt auf »Misirlou« ein, dem Song mit seinem klassischen Gitarrenlauf, der wie eine Welle kurz vor dem Brechen klang. Die Chantays legten noch in demselben Jahr mit »Pipeline« nach.
1963 veröffentlichten die Surfaris den ersten landesweitenSurfhit – »Wipe Out«, das mit sarkastischem Gelächter beginnt, gefolgt von dem berühmten Percussionriff, das jeder amerikanische Schlagzeuger als Teenager nachzumachen versuchte – und läuteten die Surfmusik-Welle ein. Boone hatte diese Musik von seinem alten Herrn geerbt, die ganzen alten Surfbands wie die Pyraminds, die Marketts, die Sandals, die Astronauts, Eddie & the Showmen.
Und die Beach Boys.
Die sprengten einfach alles.
Wegen der Beach Boys sangen Kids auf der ganzen Welt »Surfin’ Safari«, »Surfin’ U.S.A.« und »Surfer Girl«. Sie ahmten einen Lebensstil nach, der nicht ihrer war, und träumten von Orten, die sie nie gesehen hatten: Del Mar, Ventura County Line, Santa Cruz, Trestles, all over Manhattan and down Doheny way … Swami’s, Pacific Palisades, San Onofre, Sunset, Redondo Beach, all over La Jolla …
Und immer am Highway 101 entlang.
Boone weiß nicht, wie er die alte Frage aus dem Ethik-Einführungsseminar aus seinem ersten Collegejahr – was würde man mit dem Wissen, das man jetzt hat, tun, wenn man die Chance bekäme, den kleinen Adolf Hitler in seiner Wiege zu erwürgen – beantworten würde; im Fall von Brian Wilson aber kennt er die Antwort: Man würde ihm das Säuglingsgehirn im Kinderkörbchen zu Brei schlagen, bevor er alt genug wäre, um ins Aufnahmestudio zu gehen und den Highway 101 in einen Parkplatz zu verwandeln.
Mitte der sechziger Jahre warf sich jeder Vollidiot, der einen Plattenspieler oder ein Transistorradio besaß, in die Brandung, belagerte die Breaks, verstopfte den Zugang zu den Wellen. Menschen, die niemals surfen wollten, waren scharf auf den Lifestyle (Spitzenbeispiel für einen verkorksten Bastard von einem Unwort, denkt Boone. Lifestyle – will beides und ist doch nichts. Life style – das ist wie Pseudo- leben, eine schlechte Nachahmung von etwas Lebenswertem.Als wollte man nicht das Leben, sondern nur den Style ). Also machten sie sich auf ins sonnige Südkalifornien und machten alles kaputt.
Was sangen die Eagles noch – »You call some place paradise/kiss it goodbye«? Das ist die Geschichte des Highway 101. So viele Menschen zogen an die südkalifornische Küste, dass man sich fragt, weshalb sie noch nicht ins Meer gekippt ist. Obwohl: Die billigen Eigentumswohnanlagen, die skrupellose Stadtplaner massenweise auf die Felsklippen setzten, rutschen jetzt tatsächlich in den Ozean, als stünden sie auf Kufen. Die kleinen Strandorte wuchsen zu großen Strandstädten an, inklusive Vorortsiedlungen, Schulen und endlosen Einkaufsmeilen, in denen es überall denselben Scheiß zu kaufen gibt.
Plötzlich kam es auf dem 101 zu Staus – Verkehrsstaus .
Das waren keine Leute, die surfen wollten (obwohl es heute manchmal an den beliebteren Surfspots schwierig sein kann, einen Parkplatz zu finden), das waren Pendler auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause .
Boone hat das goldene Zeitalter des Surfens verpasst. Wahrscheinlich, das glaubt er, kam er in der Bronzezeit dazu, aber für ihn ist der 101 immer noch der Highway zum Himmel. »Ich hab die goldenen Jahre nicht erlebt«, erklärte er einmal seinem Dad. »Ich kenne nur die Gegenwart.«
Am 101 gibt es manchmal immer noch goldene Tage – besonders unter der Woche, wenn die Straße relativ leer ist und die Strände nicht
Weitere Kostenlose Bücher