Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
Teddy ist. Zweitens hat Teddy sie bereits einmal verraten. Wenn sie ihn jetzt anruft, wird er sie wieder verraten. Drittens haben Dan und der Rest der Welt, zumindest eine Zeit lang, guten Grund anzunehmen, sie sei tot, und sollte sie mit Teddy sprechen, hätten sie guten Grund anzunehmen, sie sei am Leben. Und selbstverständlich würden sie versuchen, das zu ändern.
Das Argument beeindruckt sie zutiefst. »Wo ist mein Telefon?«
»Im kalten Salzwasser ersoffen«, sagt Boone. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie damit noch wählen können.«
»Dann benutze ich Ihres.«
»Ich lag neben Ihnen im Wasser.«
»Haben Sie kein Telefon zu Hause?«, fragt sie.
»Nein.«
»Was, wenn Sie jemand erreichen will?«
»Genau deshalb habe ich ja kein Telefon zu Hause«, sagt Boone. Von den anderen drei Handys in der Küchenschublade erzählt er ihr nichts. Er ist baff. Die Frau hat kein Wort über ihre Freundin Angela verloren, die alles für sie ausbaden musste, nicht mal nachgefragt hat sie. Sie interessiert sich nur für ihren schmierigen Tittenmetzger, der kleine Migrantenmädchen nagelt. Ein Mann, der sie in nullKomma nichts verriet, um seinen eigenen wertlosen Arsch zu retten.
Reizend.
»Glauben Sie, es geht ihm gut?«, fragt sie.
»Wissen Sie, wie egal mir das ist?«
»Ich will ihn sehen.«
»Sie gehen nirgendwo hin.«
»Sie können mich nicht gegen meinen Willen hier festhalten«, sagt sie.
Ihm reicht’s jetzt. »Das stimmt. Gehen Sie doch, Tammy. Suchen Sie Ihren Dr. Kinderficker und warten Sie ab, was passiert. Aber glauben Sie bloß nicht, dass ich zu ihrer Beerdigung erscheine.«
»Arschloch«, sagt Tammy. »Für Sie bin ich doch bloß ein Gehaltsscheck, das ist alles. Sie brauchen mich lebend, um abzukassieren. Das gibt Ihnen aber noch lange nicht das Recht, jemanden zu verurteilen, Cowboy.«
»Völlig richtig.«
»Das müssen Sie mir nicht sagen, das weiß ich«, sagt Tammy. »Ich weiß, was Sie von mir denken. Ich bin Stripperin – ein blödes Stück Fleisch. Entweder habe ich ein Drogenproblem oder ich bin am Arsch, weil mir mein Daddy nie genug Aufmerksamkeit geschenkt hat oder weil ich zu faul bin, mir einen anständigen Job zu suchen. Ich bin eine Schlampe. Das hält Sie aber nicht davon ab, mit Ihren Dollars bei mir anzutanzen, oder?«
Stimmt, denkt Boone. Und es hält mich auch nicht davon ab, Ihnen das Leben retten zu wollen. Oder will ich sie doch nur im Gerichtssaal abliefern?
»Bleiben Sie weg vom Fenster«, sagt Boone. »Halten Sie den Kopf unten. Eigentlich wären Sie im Schlafzimmer am besten aufgehoben.«
»Glauben Sie, Sie sind der Erste, der mir das sagt?«, fragt sie mit Augen so hart wie Smaragde.
»Ich schlage Ihnen einen Deal vor«, sagt Boone. »Ich verurteile Sie nicht, und Sie verurteilen sich auch nicht.«
»Leichter gesagt als getan.«
»Ja.«
Sie lächelt spöttisch. »Was wissen Sie schon, Sie Surferfreak?«
»Sie haben das Recht auf Reue nicht gepachtet, Tammy.«
Boone spürt förmlich, wie der Ozean unter seinen Füßen anschwillt. Die Wellen drücken gegen die Pfeiler, rauschen durch die Zwischenräume und ziehen sich wieder zurück. Die große Wellenfront kommt, und wenn sie wieder abflaut, wird sie das Leben, wie er es gekannt hat, mit sich reißen. Er kann es fühlen, und es jagt ihm höllische Angst ein. Er will sich festklammern, aber er weiß, dass man gegen das Meer nicht ankommt.
Wenn ein Tsunami naht, trifft er mit unglaublicher zerstörerischer Kraft, zerschmettert Leben und Häuser. Aber wenn er wieder zurückfließt, zerrt er das restliche Leben mit sich hinaus in die grenzenlose See der unwiederbringlichen Vergangenheit.
77
Petra steigt aus der Dusche und spaziert in Boones Schlafzimmer, um ein kurzes Nickerchen zu halten – jedenfalls redet sie sich das ein. Eigentlich will sie herumschnüffeln.
Nein, nicht schnüffeln, denkt sie.
Einfach nur ein bisschen mehr über den Mann erfahren.
Das Schlafzimmer ist wie die restliche Wohnung ordentlich und sauber. Nichts großartig Bemerkenswertes, abgesehen von der Angel, die aus dem Fenster hängt und …
Büchern.
Gebrauchte Taschenbücher auf einem Nachttisch und in einem kleinen Bücherregal in der Ecke. Weitere aufgestapeltneben dem Bett. Und nicht nur die Sportbücher und Krimis, die sie erwartet hätte, wenn sie geglaubt hätte, dass er tatsächlich las, sondern richtige Literatur – Dostojewski, Turgenew, Gorki. In der Ecke liegt ein Stapel mit Büchern von – kann das sein?, denkt
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