Pain - Bitter sollst du buessen
Wes! War er zur Stelle, als der Einbrecher kam? Warum hat er nichts gehört? Warum zum Teufel ist die Alarmanlage nicht losgegangen? Du wartest auf mich. Ich bin schon unterwegs.«
»Du brauchst aber nicht –«
Er hängte ein, und das Blinklicht der Leitung Nummer eins verlosch. »Sie sollten sich mal in der Küche umsehen«, wandte sie sich an Wes und legte ebenfalls den Hörer auf. In dem Moment wurde ihr blitzartig etwas klar. Ty hatte auf Leitung eins angerufen. Das war die Nummer, unter der sie verzeichnet war und zu der die Telefonzentrale jeden Anrufer durchstellte. Wenn Leitung eins besetzt war, wurden die Anrufe automatisch auf Leitung zwei, dann drei und vier weitergeleitet, abhängig davon, welche Leitung besetzt war und welche nicht. Anrufer konnten in der Warteschleife verharren, bis eine Leitung frei war.
Doch John hatte sie auf Leitung zwei angerufen, obwohl alle anderen Leitungen frei gewesen waren. Irgendwoher kannte er also die Nummer. Entweder war er im Gebäude gewesen, arbeitete für die Telefongesellschaft, hatte Zugang zu den Telefonaufzeichnungen – oder er war bei WSLJ tätig.
Panik stieg in ihr auf. War das denn möglich? War ein Mitarbeiter des Senders verantwortlich für den Terror? Wie sonst hatte die Torte in die Küche geschafft werden können? Entweder John oder ein Komplize kannte dieses alte Gebäude wie seine Westentasche, wusste, wie der Sender strukturiert war, und unternahm einen persönlichen Rachefeldzug gegen sie.
Wer?
George Hannah?
Tiny?
Melanie?
Eleanor?
Sie vertraute jedem Einzelnen von ihnen. Auch denjenigen, die sie nicht so gut kannte, Gator und Ramblin’ Rob, einigen Technikern und Leuten aus dem Verkauf, selbst Melba. Sie alle waren Teil ihres Lebens hier in New Orleans.
Aber einer von ihnen hasst dich, Sam. So sehr, dass er dich in Todesangst versetzt. Sie blickte auf das Telefon, das jetzt schwieg. Keine Kontrolllämpchen blinkten im Halbdunkel. Die Bilder der Prominenten, die gerahmten Urkunden, die Voodoopuppen und Babyalligatoren, sämtlich von Halogenlicht angestrahlt, wirkten in dieser Nacht makaber.
Derjenige, der sie zu schikanieren suchte, leistete verdammt gute Arbeit.
Bevor sie wusste, wer hinter den bizarren Vorfällen während der letzten Wochen steckte, würde sie sich hier nicht wieder sicher fühlen.
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22 . Kapitel
D as ist deine Schuld.
Ty achtete nicht auf die Stimme seines Gewissens, doch als er die Tür seines Wagens öffnete, nagten trotzdem tief im Inneren Schuldgefühle an ihm. Ihm drängte sich der Gedanke auf, dass er irgendwen auf den Fall Annie Seger gestoßen hatte. Er hatte recherchiert, kannte die Geschichte in- und auswendig, doch er konnte sich nicht vorstellen, wie die Tatsache, dass er ein Buch über den Fall schrieb, das Interesse irgendeines Menschen wecken sollte.
Niemand außer seinem Lektor und seinem Agenten wusste von dem Projekt. Er war nicht einmal Sam gegenüber ehrlich gewesen, und wenn sie die Wahrheit erfuhr, würde sie stinksauer auf ihn sein.
Sasquatch bellte laut im Haus und veranstaltete einen Höllenradau.
»Sei brav!«, rief Ty ihm zu. Dann setzte er sich hinters Steuer und schob den Schlüssel ins Zündschloss. Er hatte nie die Absicht verfolgt, jemanden zu einem neuerlichen Verbrechen anzustiften, und genauso wenig hatte er sich mit Sam einlassen wollen – wenngleich er von Anfang an vorgehabt hatte, sie kennen zu lernen.
Er legte den Gang ein, gab Gas und schaltete die Scheinwerfer an. Die Straßen lagen verlassen da. Sams Haus war dunkel, auf Mrs. Killingsworths Veranda schimmerte ein Licht.
Sein Plan, in Erfahrung zu bringen, was Samantha Leeds über den Fall wusste, war gehörig fehlgeschlagen. Bevor er auch nur angefangen hatte, ihn in die Tat umzusetzen, hatte dieser John, wer immer er sein mochte, begonnen, in der Sendung ›Mitternachtsbeichte‹ anzurufen. Und dann folgte der jüngste Streich – das Mädchen mit der Flüsterstimme, das sich als Annie ausgab. Was zum Teufel wurde hier gespielt? Wer war sie?
Er bremste an einem Stoppschild ab, bog um die Kurve, fuhr durch die Außenbezirke der kleinen Gemeinde Cambrai und am See entlang auf die hellen Lichter der Stadt zu, die in der Ferne sichtbar waren.
Die Namen von Leuten, die mit Annie Seger in Verbindung gestanden hatten, wirbelten in seinem Kopf herum. Ihre Mutter, Estelle, eine kalte, frömmelnde Hexe, wie sie im Buche steht, und Wally, ihr leiblicher Vater, ein Mann, der es auf keiner Arbeitsstelle lange
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