Pain - Bitter sollst du buessen
bleich. »Diese Zeichnung hat schon Ähnlichkeit mit ihm«, sagte Sonja schließlich. Sie schien mehr Sicherheit zu gewinnen, je länger sie das Bild betrachtete.
»Und er war ein Fremder für Sie?«
»Ja, natürlich. Ich … ich habe ihn vorher nie gesehen. Sonst wäre er mir im Gedächtnis geblieben.«
»Wieso?«
Wieder senkte Sonja den Blick auf die Zeichnung. »Das mag merkwürdig klingen, aber er sah gut aus, irgendwie … auf eine düstere, na ja, gefährliche Art und Weise. Aber dann … na ja … dann wollte er mich zwingen, mit ihm zu gehen, und da fand ich ihn nicht mehr so attraktiv.«
»Würden Sie seine Stimme wiedererkennen?«
»Hm – vielleicht. Ich weiß nicht.« Ihr Selbstvertrauen ließ sie wieder im Stich.
Bentz drückte trotzdem die Abspieltaste des Rekorders, den er auf seinen Schreibtisch gestellt hatte. Mehrere Kassetten mit Johns Anrufen während der Sendung ›Mitternachtsbeichte‹ waren zusammengeschnitten worden, und jetzt füllte seine dunkle Stimme den Raum.
Das Mädchen zuckte die Achseln und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich … ich weiß nicht. Könnte sein. Spielen Sie das bitte noch einmal ab.«
Er spulte zurück und drückte die Play-Taste.
Sonja nagte an ihrer Unterlippe. »Das hört sich irgendwie schon so an wie dieser Kerl. Aber ich … ich bin mir nicht sicher.«
Lucretia, die Angestellte vom St. Pierre, hatte das Gleiche geantwortet. Bentz war restlos frustriert. Das Bild des Polizeizeichners war zu allgemein, konnte so ziemlich jeden weißen, dunkelhaarigen Kerl darstellen, der etwas für seine Figur tat.
»Können Sie mir sonst noch irgendetwas über ihn erzählen?«
»Nein, es war dunkel, und es ging alles so schnell. Ich habe nach seiner Sonnenbrille gegriffen, und da flippte er aus. Vielleicht stimmt was mit seinen Augen nicht oder so …« Sonja zuckte erneut die Achseln. »Er hat versucht, mich die Straße entlangzuzerren, und ich habe ihm gegen das Schienbein getreten und ihm das Gesicht zerkratzt. Dann konnte ich flüchten. Ich, hm, ich habe wohl großes Glück gehabt, was?«
»Sehr großes«, bestätigte Bentz mit ernster Miene.
Sie räusperte sich. »Er hat ein anderes Mädchen umgebracht, nicht wahr?«
»Ja, wir haben Grund zu der Annahme.«
»Und auf der Kassette hat er Dr. Sam, die Radiopsychologin, bedroht.«
»Ja.«
»Ich wünschte wirklich, ich könnte Ihnen helfen.«
»Sie haben mir bereits geholfen«, sagte Bentz und stand auf. »Danke.«
»Gern geschehen.« Sie griff nach ihrem Rucksack und warf dann noch einen letzten Blick auf den Schreibtisch. »Ist das … ist das Ihre Tochter?«, fragte sie und wies auf die zwei Fotos von Kristi.
»Ja.« Bentz lächelte. »Das eine ist schon vor langer Zeit gemacht worden, als sie sich an der Uni einschrieb, das andere ist ihr Examensfoto. Vor knapp einem Jahr aufgenommen.«
»Sie ist sehr hübsch«, bemerkte Sonja.
»Kommt nach ihrer Mutter.«
»Nein.« Sonja krauste die vorwitzige, sommersprossige Nase. »Sie sieht Ihnen ähnlich.« Und damit ging sie. Einen spiralförmigen Schlüsselring aus Plastik am Handgelenk, den Rucksack über die Schulter geworfen, stapfte sie in ihren Plateausandalen aus Bentz’ Büro.
Sonja Tucker war in der Nacht zuvor nur Minuten vom sicheren Tod entfernt gewesen. Das Glück dieses Mädchens hatte das Verderben eines anderen bedeutet. Sonja Tuckers Entkommen hatte den Unhold gezwungen, sich ein anderes Opfer zu suchen. Leanne Jaquillard. War es ein Zufall, dass Leanne in Verbindung mit Samantha Leeds gestanden hatte? Sonja Tucker hatte geschworen, Dr. Sam nicht zu kennen; zwar hatte sie die Sendung ›Mitternachtsbeichte‹ ein paar Mal gehört, aber nie dort angerufen.
Im Gegensatz zu dem Opfer.
Leanne und Dr. Sam waren gute Bekannte.
Bentz rieb sich den verspannten Nacken und plante sein weiteres Vorgehen. Zuerst würden sie die Öffentlichkeit vor dem Mörder warnen, als Nächstes musste jeder Anruf, der beim Sender einging, zurückverfolgt werden. Und da nun ein Zusammenhang zwischen dem Mörder und Dr. Sam deutlich war, bedurfte sie der ständigen Bewachung. Ihr Haus musste rund um die Uhr observiert werden, und es galt, die Liste der Personen, die Dr. Sam und Annie Seger kannten, abzuarbeiten.
Er betrachtete das Phantombild von John Fathers, wer immer er in Wirklichkeit sein mochte. Kantiger Kiefer, gekerbtes Kinn, hohe Wangenknochen, dichtes Haar mit spitz zulaufendem Ansatz, dunkle Sonnenbrille.
Und Schrammen auf der linken Wange, wo Sonja ihn
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