Pain - Bitter sollst du buessen
blutig gekratzt hatte. »Wer bist du, du Schwein?«, knurrte Bentz mit bösem Blick auf das Bild, das an die Medien verteilt werden sollte. Er dachte an die Männer in Samanthas Leben – David Ross, Ty Wheeler, George Hannah. Allesamt groß, durchtrainiert, mit dunklem Haar und kantigen Zügen. Per Computer war Johns Sonnenbrille entfernt und durch verschiedene Augen ersetzt worden, auch Haarschnitt und Frisur hatte der Experte verändert. Aber das war nur ein Würfelspiel. »Und wer ist die Frau, die sich am Telefon als Annie ausgegeben hat?«, murmelte Bentz.
Das Bild mit den verborgenen Augen schien ihn zu verhöhnen. Was hatten diese dunkle Brille und die geschwärzten Augen auf den Hundertdollarscheinen zu bedeuten? Und das merkwürdige Muster von Einschnitten am Hals der Opfer? Was sollte dieser Quatsch von wegen Sünde und Vergeltung?
Bentz machte sich eine Notiz zur Erinnerung daran, dass er den Aufenthaltsort jedes Mannes, der mit Samantha Leeds bekannt war und seit ihrer Rückkehr aus Mexiko in der näheren Umgebung lebte, überprüfen wollte. Seit ihrer Rückkehr von der Reise, auf der sie ihre Tasche samt Ausweis und Schlüssel verloren hatte. Der Reise, auf der sie beschlossen hatte, endgültig Schluss mit David Ross zu machen.
Irgendwas entging ihm, er wusste es. Irgendetwas nahe Liegendes. Denk nach, Bentz, denk nach! Wer lebte vor neun Jahren in Houston? Und wer wohnte jetzt hier? Warum wollte jemand Annie Segers Selbstmord wieder ans Licht der Öffentlichkeit zerren?
Er nahm sich Ty Wheeler vor, der sich nach der Mexikoreise in Samantha Leeds’ Leben gedrängt hatte. Soviel er wusste, waren er und Samantha inzwischen ein Liebespaar. Das schlug Bentz auf den Magen. Er mochte den Kerl nicht. Traute ihm nicht über den Weg. Wheeler hatte zugegeben, dass er eine Dokumentation über Annie Segers Tod verfasse. Er vertrat sogar die Theorie, sie habe nicht Selbstmord begangen, sondern sei ermordet worden, doch nach Bentz’ Einschätzung war das alles nur Effekthascherei. Die Polizei in Houston hatte Selbstmord festgestellt, und das reichte ihm. Wheeler wollte bestimmt nur schnelles Geld machen.
Er nahm ein paar Anrufe entgegen, erhielt ein Fax mit dem Bericht der Spurensicherung und wunderte sich nicht darüber, dass Haare von einer roten Perücke in dem Hotelzimmer gefunden worden waren. Wenige Minuten später erschien Melinda Jaskiel an seiner Tür.
»Sag mir, was du von diesen Morden hältst«, bat sie, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich mit der Schulter an den Türpfosten. Aus dem Nebenzimmer waren Stimmen, Telefonklingeln und das Klicken von Computertastaturen zu hören.
»Ich schätze, wir haben es mit einem reichlich perversen Schweinehund zu tun, vielleicht sogar mit zweien.«
»Das habe ich auch schon gehört.«
Bentz legte ihr seine Theorie dar und brachte Norm Stowells Bericht zur Sprache, den Melinda bereits gelesen hatte. Eine Weile lang unterhielten sie sich über andere Dinge, dann wandten sie sich wieder dem Mord an Leanne Jaquillard zu.
»Die Mutter des Mädchens ist verständigt worden?«, fragte Bentz mit einem Blick auf die Fotos des letzten Opfers, die auf seinem Schreibtisch verstreut lagen.
Melinda Jaskiel nickte, hob eins der Fotos auf und betrachtete mit finsterer Miene das Bild vom Tatort. »In einer Stunde gebe ich eine Pressekonferenz. Ich werde mich kurz fassen, aber bestätigen, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben. Ich will die Frauen aufrufen, ihre Türen immer abzuschließen und nachts zu Hause zu bleiben oder nur in großen Gruppen auszugehen. Wir verteilen das Phantombild und mahnen die Öffentlichkeit zur Vorsicht, sagen den Leuten, dass der Mörder immer dreister wird und dass Personen, die ihm nahe stehen, eine Freundin oder Ehefrau, in Gefahr schweben könnten. Du weißt ja, das übliche Vorgehen. Bedeutsame Indizien halten wir zurück, Informationen, die nur der Mörder haben kann, damit irgendwelche Spinner, die hier antanzen und gestehen wollen, beweisen müssen, dass sie es tatsächlich sind. Sonst laufen alle möglichen Idioten, die sich ein bisschen zweifelhaften Ruhm erhoffen, hier auf und rauben uns unsere Zeit. Ich habe mit dem FBI geredet. Alle Mitglieder des Sonderkommandos sind der gleichen Meinung.«
»Du willst den Zusammenhang mit Dr. Sam und ›Mitternachtsbeichte‹ nicht zur Sprache bringen?«
»Noch nicht. Hast du dich mit ihr unterhalten?«
»Ich mache mich gleich auf den Weg. Warte nur noch auf Montoya.
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