Pain - Bitter sollst du buessen
Obergeschoss und ließ sich auf die Bettkante sinken. Er packte Kleidung und Rasierutensilien in eine Sporttasche. Sams Gedanken wanderten erneut zu Leanne Jaquillard. Wenn sie ihr doch hätte helfen können! Wenn sie sich doch nur früher bei ihr gemeldet hätte. Wenn sie doch … Die Hände zwischen den Knien gefaltet, starrte sie auf den Teppich, und es kam ihr vor, als trüge sie die Last der ganzen Welt auf den Schultern. »John … Er hat mir gesagt, dass er ein Opfer für mich bringen würde. Er hat Leanne umgebracht … meinetwegen … Sie hat noch versucht, mich zu erreichen, aber ich war nicht für sie da.«
Ty schaute sie im Spiegel über seiner Kommode aufmerksam an.
»Wenn ich Leanne rechtzeitig zurückgerufen hätte, wäre ihr Tod zu verhindern gewesen«, sagte sie.
Ty schloss den Reißverschluss seiner Tasche und ließ sich dann vor Sam auf die Knie nieder. Mit einem Finger hob er ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Das weißt du doch gar nicht. Könnte auch sein, dass ihr jetzt beide tot wärt. Samantha, es ist weiß Gott eine schreckliche Tragödie, aber gib dir bitte nicht die Schuld daran.«
»Das musst du gerade sagen! Hast du nicht selbst eben noch so geredet?«
»Ja, aber ich versuche, mich davon frei zu machen.«
Wieder schossen Sam die Tränen in die Augen. »Sie ist ermordet worden, weil sie mich kannte! Wenn sie mich –«
»Hör auf, Samantha«, bat er sanft. »Es gibt nur eins, was wir beide jetzt tun können: der Polizei helfen, den Kerl zu stellen. Das würde sich Leanne von uns wünschen.«
Blinzelnd und unter Aufbietung aller Willenskraft gewann sie ihre Fassung wieder. »Du hast Recht«, sagte sie mit neuer Überzeugung. »Stellen wir ihn!«
»So gefällst du mir schon besser«, sagte Ty. Er griff in die obere Schublade seiner Kommode und entnahm ihr eine Pistole.
Auf Anhieb spannten sich Sams Muskeln an. »Eine Waffe? Du besitzt eine Waffe?«
»Keine Sorge, ich habe einen Waffenschein. Es ist völlig legal.« Er nahm ein Magazin aus seinem Schrank und lud die Pistole. Nachdem er sie gesichert hatte, schob er sie in ein Schulterhalfter, schnallte es sich um und zog eine Jacke über. »Nur für alle Fälle.«
»Ich mag keine Waffen«, bemerkte sie.
»Und ich mag keine Männer, denen einer abgeht, wenn sie Frauen umbringen. Wenn dir jemand etwas antun will, wird er es bereuen.«
Sie dachte, es sei scherzhaft gemeint, ein Versuch, sie aufzuheitern, doch dann sah sie das harte Funkeln in seinen Augen und wusste: Er meinte es ernst. Absolut ernst.
Wenn dieser Typ also ›der Richtige‹ ist, wie du zu Sam gesagt hast, warum ist er dann so unzugänglich?,
fragte sich Melanie, während sie die Telefonnummer ihres Freundes wählte und sich in der Badewanne zurücklehnte. Es war mitten in der Nacht. Warum war er nicht zu Hause? Vielleicht hatte er nur sein Handy abgeschaltet, damit er so spät nicht mehr gestört wurde.
Oder er ist bei einer anderen Frau.
Der Gedanke bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz.
Du liebe Zeit, Mel, dich hat’s aber erwischt.
Sie beobachtete einen Wassertropfen, der am Hahn hing, und wartete, wusste, dass er sich nicht melden und sie die dritte Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen würde. Was war es bloß, das sie so unwiderstehlich an ihm fand?
»Hinterlassen Sie bitte eine Nachricht«, empfahl die aufgezeichnete Stimme.
»Hi, hier ist noch einmal Melanie. Wüsste gern, wo du steckst.« Sie bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall, doch in Wahrheit kam sie sich idiotisch vor. Sie lief ihm hinterher, wie sie schon einem guten Dutzend anderer attraktiver Typen hinterhergelaufen war, die sie allesamt schlecht behandelt hatten. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr – sie musste nicht Psychologie studieren, um zu wissen, dass sie immer auf den Falschen hereinfiel. Und trotzdem kam sie offenbar nicht dagegen an. Sie hängte ein. »Abhängig«, sagte sie zu sich selbst, legte das schnurlose Telefon auf die Ablage und schloss die Augen. Sie hatte Badesalz ins Wasser gegeben, und während der Dampf an die Decke stieg, sog sie den Duft nun tief ein. »Du bist eine Sklavin der Liebe. Genauso wie deine Mutter und deine Schwester.« Jede Frau in ihrer Familie hatte unter der Rücksichtslosigkeit von Männern gelitten. Ihre Mutter war ein halbes Dutzend Mal vor den Altar getreten und hatte doch nie das große Glück gefunden, ihre Schwester war noch immer mit dem Scheißkerl verheiratet, der sie verprügelte, wenn er betrunken
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