Pain - Bitter sollst du buessen
gefährlich er ist. Vielleicht steht er unter Drogen, oder er neigt zu Jähzorn und Gewalttätigkeit. Bitte …«, sie hob in einer ausdrucksvollen Geste die Hände, » … gib gut Acht.«
»Ich bin Psychologin, erinnerst du dich? An solche Dinge bin ich gewöhnt.«
»Okay«, murmelte Eleanor und verließ eilig den Raum.
»Sie hat Recht, Kleine.« Rob setzte sich. Schob sich den Hut in den Nacken und fixierte Sam mit blauen Augen, denen nichts fremd war. »Mach keine Dummheiten, ja?«
Mit gespieltem Ernst antwortete Sam: »Ich versuche mein Bestes, Cowboy Rob. Ehrenwort.« Sie sagte es leichthin, doch in Wirklichkeit hatte sie vor, den Typen mit Samthandschuhen anzufassen, falls er noch einmal anrief. Wenn irgendetwas darauf schließen ließ, dass sie ernsthaft in Gefahr war, würde sie die Polizei verständigen. Auf der Stelle.
Als sie in dieser Nacht, eine Tasse Kaffee in der Hand, durch die Gänge des Senders ging, erschienen ihr die Büros dunkler als gewöhnlich. Die Schatten in den Ecken und Winkeln kamen ihr dichter, die Flure noch verwinkelter vor als sonst. Das war natürlich reine Einbildung. Wenngleich Sam zuvor Eleanor gegenüber die Furchtlose markiert hatte, war sie doch nervös. In der vorigen Nacht war sie vollkommen unbehelligt nach Hause gefahren. Dort angelangt hatte sie geglaubt, draußen jemanden zu hören, doch als sie auf die rückwärtige Veranda hinausgetreten war, hatte sie durch die Regenschleier hindurch nichts erkennen können. Nur das Pfeifen des Windes und das Klimpern der Windspiele hatten die nächtliche Stille gestört. Später hatte sie dann das einsame Boot auf dem aufgewühlten Wasser entdeckt, oder vielmehr: Sie hatte gemeint, es zu sehen. Daher hatte sie rasch die Jalousien geschlossen und den Kerl aus ihren Gedanken verbannt. Was war los mit ihr, warum war sie so erregbar?
Sie erinnerte sich nun selbst daran, dass sie nicht allein hier war. Melanie bediente die Telefone, Tiny war wie immer überall und nirgends und sorgte dafür, dass die Geräte funktionierten und die fertigen Programme für die späten Nachtstunden liefen.
Alles war wie immer.
Abgesehen davon, dass jemand da draußen dich in Todesangst versetzen will.
Und das gelang ihm.
Sogar ausgezeichnet.
Sie war angespannt, sobald sie die Tür der schalldichten Kabine hinter sich schloss, sich auf ihren Stuhl setzte und das Mikrofon in Position brachte, bekam sie Magenkrämpfe.
Eleanor und George haben Recht gehabt, dachte sie, als die Erkennungsmelodie aus den Lautsprechern über dem Schreibtisch ertönte. Die E-Mails und Anrufe, die im Laufe der letzten vierundzwanzig Stunden beim Sender eingegangen waren, übertrafen alles bisher Dagewesene. Das Gespräch zwischen Dr. Sam und John am Vorabend hatte zweifellos das Interesse an ihrer Sendung geschürt.
»Guten Abend, New Orleans, und herzlich willkommen …« Sie begann ihre Sendung mit den üblichen einleitenden Worten. Und dann sagte sie, obwohl sie wusste, dass sie mit dem Feuer spielte: »Ich dachte mir, wir fahren heute fort, wo wir gestern stehen geblieben sind. Gestern Nacht meldete sich ein Anrufer und schnitt das Thema Sünde und Buße an.« Sams Finger zitterten ein wenig. »Ich halte es für so ergiebig, dass wir heute noch ein wenig in die Tiefe gehen wollen. Wie ich weiß, haben gestern viele von euch zugehört, und jetzt möchte ich gern eure Definition von Sünde hören.«
Die erste Telefonleitung blinkte bereits. Nummer zwei und drei leuchteten fast gleichzeitig auf. Nach der Sendung würde Eleanor ihr wahrscheinlich an die Kehle springen, ihr vorwerfen, dass sie Ärger heraufbeschwor, aber obwohl ihre Hände schweißnass waren und ihr Puls raste, wollte sie dennoch mit John in Verbindung treten … mehr über ihn herausfinden. Wer war er? Warum hatte er angerufen? Er musste derselbe Mann sein, der die Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, derselbe Kerl, der ihr das verschandelte Foto geschickt hatte. Warum versuchte er, sie zu terrorisieren?
Der Computermonitor meldete, dass Sarah auf Leitung eins und Tom auf Leitung zwei waren. Auf der drei wartete Marcy. New Orleans brannte darauf, über Sünde und Vergeltung zu reden, Bibelverse zu zitieren und wortreich Meinungen über den Lohn der Beichte zum Besten zu geben. Zwei Männer namens John meldeten sich – keiner von ihnen war der John, der am Vorabend angerufen hatte. Die Stunden verflogen, der Morgen nahte, und Sam empfand eine Mischung aus Erleichterung und
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