Pain - Bitter sollst du buessen
nieder und schlug das Buch auf, doch sie konnte sich nicht mehr konzentrieren, und bald schon hörte sie Hannibal wie verrückt bellen. Dann glaubte sie, über den auffrischenden Wind hinweg ein Auto auf der Zufahrt zu hören. Sie klappte das Buch zu, stand viel zu schnell auf und spürte einen heftigen Schmerz im linken Knöchel. Leise schimpfte sie über ihre eigene Dummheit.
Als sie die hintere Veranda erreichte, vernahm sie das leise Klingeln der Türglocke. Sie flog geradezu durch die Räume und schrie: »Ich komme!« An der Haustür angelangt spähte sie durch den Spion und erblickte einen großen Mann mit breitem Brustkasten, der eine hellbraune Jacke trug. Er hatte die Hände tief in die Taschen geschoben und kaute Kaugummi, als hinge sein Leben davon ab. Sam öffnete die Tür nur so weit, wie die Vorlegekette es zuließ. »Was kann ich für Sie tun?«
»Samantha Leeds?«
»Ja.«
»Rick Bentz, Polizeibehörde New Orleans.« Er klappte eine schwarze Brieftasche auf und zeigte seine Marke und seinen Dienstausweis. Graue Augen sahen sie eindringlich an. »Sie haben auf dem hiesigen Revier etwas zu Protokoll gegeben. Daraufhin melde ich mich bei Ihnen.«
Alles schien in Ordnung zu sein; das Foto in seinem Dienstausweis war identisch mit dem strengen Gesicht, das sie anschaute, und so löste Sam die Kette und öffnete die Tür. Bentz trat ein, und Sam spürte die Anspannung des Mannes. »Gehen wir einmal durch, was bisher passiert ist«, schlug er vor. »Wir fangen am besten …«, er warf einen Blick auf seine Notizen, »… mit dem Anruf an, den sie auf der Radiostation bekommen haben. Und hier lese ich, dass Sie einen Drohbrief erhalten haben. Daraufhin haben Sie die zuständige Polizeidienststelle verständigt.«
»Und auch wegen der Nachricht, die während meines Urlaubs auf meinem Anrufbeantworter eingegangen war. Kommen Sie.« Sie führte ihn ins Büro, reichte ihm einen Abzug des verunstalteten Fotos und wechselte dann die Kassette ihres Anrufbeantworters. »Das hier ist eine Kopie. Das Original befindet sich bei der Polizei von Cambrai.«
»Gut.«
Sam spielte die Nachricht ab, die sie seit Tagen nicht zur Ruhe kommen ließ.
Bentz hörte genau zu und starrte auf das Foto, auf dem die Augen ausgestochen waren.
»Ich weiß, was du getan hast. Und du kommst nicht ungeschoren davon. Du wirst für deine Sünden bezahlen müssen.« Die weiche Stimme, die ihr schon so vertraut geworden war, erfüllte das Zimmer, die Ecken und Winkel, schlüpfte hinter Vorhänge, zerrte an ihren Nerven.
»Was für Sünden?«, fragte Bentz.
Sam erkannte ein aufglimmendes Interesse in seinen Augen. Er sah sich im Zimmer um, machte Bestandsaufnahme, wie sie vermutete, von ihrer kleinen Bibliothek und ihrer technischen Ausrüstung. »Ich weiß es nicht«, sagte Sam wahrheitsgemäß. »Ich kann mir die Nachricht nicht erklären.«
»Und die Anrufe beim Radiosender, da ging es um das gleiche Thema – Sünde?«, erkundigte er sich, während sein Blick über den Schreibtisch und den Bücherschrank wanderte, als ob er anhand ihres Büros erfahren wollte, wer sie war.
»Ja. Er, hm, er nannte sich John, behauptete, mich zu kennen, und sagte, dass er, ich zitiere, ›mein John‹ sei. Als ich sagte, ich kenne viele Johns, deutete er an, dass ich mit vielen Männern zusammen gewesen sei, und er, ähm, er bezeichnete mich als Schlampe. Da habe ich aufgelegt.«
»Haben Sie mal ein Date mit einem John gehabt oder sogar eine Beziehung?«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, erwiderte sie. »Der Name ist ja ziemlich geläufig. Ich glaube, in der Highschool bin ich mal mit einem John Petri ausgegangen und auf dem College mit einem Typen namens John … Ach Gott, ich kann mich nicht an seinen Nachnamen erinnern. Mit beiden habe ich mich nur ein paar Mal getroffen, da war nichts weiter. Ich war noch so jung damals, und die beiden auch.«
»Gut, erzählen Sie weiter. Der Kerl hat sich noch einmal gemeldet?«
»Ja. Neulich nachts … Das Gespräch wurde auf Band aufgezeichnet, aber der Anruf kam erst nach meiner Sendung. Tiny, das ist der Tontechniker, der die nächste Sendung vorbereitete, hat das Telefonat angenommen. Der Anrufer wollte mich sprechen, sagte, er sei ›mein John‹ und er habe nicht früher, also während der Sendung, anrufen können, weil er zu tun gehabt habe. Er spielte auf einen Vorfall an und gab mir die Schuld daran.«
»Auf was für einen Vorfall?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schüttelte den Kopf.
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