Pakt der Könige
hatte sie ihm genommen.
Er hatte an seinen gesunden Egoismus und seinen Überlebensdrang geglaubt und hatte doch alles für andere aufs Spiel gesetzt.
Aber vor allem hatte er immer an die Vernunft geglaubt. Die kalte Vernunft, die Intelligenz, die es einem ermöglichte, die richtige Entscheidung zu fällen - die logische, offensichtliche Entscheidung. Und hier, unter dieser Sonne, die keinen Namen mehr hatte, weil sie nicht mehr von den Göttern hervorgebracht war, wurde ihm nun auch noch die Vernunft geraubt.
Er lud sich Marikanis bewusstlosen Körper auf den Rücken, richtete sich dann langsam auf und hob das Gesicht zum leeren Himmel.
»Seht meinen Wahnsinn!«, brüllte er und wusste nicht, mit wem er sprach. »Ihr, die Ihr dort oben herrscht, wer Ihr auch seid - und selbst, wenn Ihr nicht seid! -, Ihr, die Ihr alles verschlungen habt, seht: Ich bringe Euch auch noch meine Vernunft dar! Fresst sie! Und jetzt tut mit uns, was Ihr wollt!«
Der Himmel antwortete nicht, und Arekh ging weiter, vornübergebeugt unter dem Gewicht der jungen Frau. Er war verrückt, sagte er sich, während ein hysterisches Lachen ihn schüttelte, er war so verrückt geworden, dass er hier in der Einsamkeit schrie, als ob das ferne Schicksal ihn hören könnte …
»Herr, seht doch!«, rief das Kind und deutete mit dem Finger. »Eine Oase!«
Es war keine Oase. Die braune Erhebung, die das kleine Mädchen in der Ferne wahrgenommen hatte, stellte sich, als sie näher kamen, als herrenloser Karren heraus. Herrenlos, weil seine Besitzer getötet worden waren; das wurde rasch offensichtlich, als sie nahe genug heran waren, um die Fliegen zu sehen, die über den Leichen kreisten. Der Karren aus Râs -Holz trug das Wappen der Gewürzhändlergilde von Salmyra, und ihrer Kleidung nach zu urteilen waren die einstigen Besitzer Pashnou gewesen. Sie waren zu fünft - ein Pärchen, ein Diener und zwei Kinder - und hatten wohl bei ihrer Flucht aus der Stadt beschlossen, ihr Glück im Norden zu versuchen. Dann waren sie den falschen Leuten begegnet - Meriniden? Plünderern? Anderen Flüchtlingen? Das würde sich nie mehr in Erfahrung bringen lassen. Jedenfalls war ihr Karren umgestürzt - sicher hatten sie zu fliehen versucht. Die Zugtiere waren verschwunden, und im Karren lagen nur noch Bündel aus
Kleidern und Tüchern, ein zerbrochener Wandschirm, ein alter Teppich, ein Stuhl, ein Sack mit Fladen und Mehl und die Leichen selbst.
Nein, das war keine Oase, aber für Arekh und das Kind war es, erschöpft wie sie waren, fast genauso gut. Ein echter Schutz gegen den Irrsinn der Sonne. Ein Zufluchtsort voll Frieden und relativer Kühle. Arekh konnte nicht anders, als wieder zu lachen, ein kurzes, abgehacktes Lachen, das er kaum unterdrücken konnte, als er zusah, wie das Kind den Teppich vom Wagen nahm und ihn sorgfältig unter den Rädern ihres Unterschlupfs ausbreitete. Arekh legte Marikani darauf und half dann der Kleinen, den Wandschirm aufzustellen und die Kleider über das Holz zu hängen, um ein wahres kleines Zelt zu errichten. Wenn es Nippsachen gegeben hätte, hätte die Kleine damit wohl das Innere dekoriert, wie Arekh aufging, als er sie geschäftig umhereilen sah; er musste sie gewaltsam in ihren Unterschlupf ziehen, damit sie endlich aufhörte.
Sich in den Schatten zu setzen, sich auf dem Teppich auszustrecken und die Augen zu schließen, ohne dass sie brannten, war für Arekh eine solche Erleichterung, dass er beinahe vor Freude geweint hätte. Er reichte dem Mädchen den Schlauch mit der Aufforderung zu trinken - wenn er eine Flasche Wein gehabt hätte, hätte er sie zur Feier des Tages geöffnet -, flößte der noch immer bewusstlosen Marikani zwei Schlucke ein und trank dann selbst.
Als er die Augen schloss, hatte er das Gefühl, seit Monaten nicht mehr so glücklich gewesen zu sein.
Die Kälte weckte ihn, und er verließ das Zelt, um sich Kleider aus den Bündeln zu holen. Zitternd zog er sich an und ließ die kleine Sklavin das Gleiche tun, bevor er sich
um Marikani kümmerte. Dann riss er ein Brett aus dem Karren und machte sich daran, die Leichen zu begraben, nicht aus Achtung vor den Toten, sondern weil der Geruch störend zu werden begann. Er durchsuchte sie zwar, fand aber nichts Interessantes - bis auf den Zwicker des Vaters. Damit würde es leicht sein, ein Feuer zu entzünden.
Genau das tat Arekh einige Augenblicke später und riss noch weitere Bretter aus den Seiten des Karrens. Natürlich drohten das Licht
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