Pakt der Könige
Wüste.
Kapitel 22
Der Morgen hatte vor fünf Stunden gedämmert, aber Arekh hatte längst jegliches Zeitgefühl verloren. Die Welt bestand nur aus Sonne, einer gewaltigen Sonne, die Himmel, Blut und Hoffnung verschlang. Die Hitze war mit Händen zu greifen, und jeder Schritt war ein Kampf, ein Ringen. Manchmal, wenn er die Augen schloss, hatte er den Eindruck, wieder in den Sümpfen zu sein: Er fühlte sich, als sei er in den Morast gestürzt und versuche nun, hindurchzuwaten. Sein Körper bewegte sich kaum, während er verzweifelt zu atmen versuchte. Die Wüste war nichts als ein Albtraum, er ertrank, aber das Wasser versengte ihm den Hals und presste ihm die Lunge zusammen …
Manchmal öffnete er die Augen und war in seinem Traum nicht allein: Marikani ging neben ihm, das Gesicht verhärmt und sonnenverbrannt; sie schwankte bei jedem Schritt. Die kleine Sklavin folgte ihnen schweigend. Sie hatte den Saum ihres Hemds abgerissen, um sich eine Art Turban daraus zu machen. Sie wanderte klaglos und würde klaglos sterben, wie Arekh in einem kurzen lichten Moment begriff. So war sie erzogen worden, so lebte sie, so würde sie sterben.
So begriff er, dass die Götter das Türkisvolk zur Sklaverei verdammt hatten und dass es für Tausende von Jahren so bleiben würde, bis die Rune dereinst ausgelöscht würde.
Im Augenblick war die Rune nicht am Himmel zu sehen, denn die Sonne hatte die Sterne verschwinden lassen, und auch die Götter waren unsichtbar, verborgen hinter einem Vorhang aus Licht, ja, die Götter waren unsichtbar, wenn sie nicht ohnehin tot waren, tot, getötet von der Frau, die neben ihm herstolperte. Die Götter verwebten die Schicksalsfäden, aber diese Fäden waren gefallen, und diese Fäden waren es, die Arekh zurückhielten, die ihn hinderten, weiterzugehen, und nicht der Schlick der Sümpfe, sofern sie nicht alle Marionetten waren und die Fäden an ihren Händen und Füßen befestigt waren, so dass die Mächte des Schicksals daran zupfen und sie zum Tanzen bringen konnten … tanzen, erst den einen Fuß heben, dann den anderen, alles auf brennendem Sand …
Ein leises Geräusch neben ihm. Arekh öffnete die Augen und sah, dass Marikani gestürzt war, mit dem Gesicht voran in den Sand, bewusstlos. Er sah sie einen Moment lang an, bevor er reagierte und sie fest am Arm packte, um zu versuchen, sie aufzurichten. Sie rührte sich nicht. Ihr sonnenverbranntes Gesicht war blutleer, und die Wunden an ihrem Arm hatten sich wieder geöffnet.
Sie wird sterben. Wir werden alle sterben , dachte Arekh, und der Gedanke erlaubte es ihm, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Er würde sie nicht lange tragen können, und es hatte ohnehin keinen Sinn, unter einer solchen Sonne zu wandern. Er ließ Marikani zurück auf den Boden fallen, ließ sich selbst fallen, zog sein Hemd aus braunem Leinen aus und hielt es mit ausgestreckten Armen hoch, um eine Art Sonnenschirm zu bilden, der sie alle drei
schützen würde. Die Kleine setzte sich neben ihn, und Arekh rührte sich lange Zeit nicht; er bewegte die Arme nur, um Marikanis Gesicht im Schatten zu halten. Dann, als seine Arme müde wurden, zog er die junge Frau zu sich heran, legte ihren Kopf auf seine Knie und ließ das Hemd auf sich und die kleine Sklavin sinken.
»Ayesha muss trinken«, sagte die Kleine.
Arekh nickte. Er wollte das Wasser aus dem Schlauch gut einteilen, aber sie würden nur umso schneller sterben, wenn sie gar nicht tranken. Er gab dem Kind einen Schluck warmer Flüssigkeit, trank selbst und hob dann Marikanis Kopf, um zu versuchen, ihr etwas einzuflößen. Erst hustete sie und vergeudete ein wenig des kostbaren Wassers, doch dann schluckte sie den Rest hinunter.
Arekh wartete, bis sie die Augen geöffnet hatte, bevor er befahl, wieder aufzubrechen. Die Sonne brannte noch immer, aber er wurde von demselben Impuls getrieben, der ihn geradewegs auf die Meriniden hatte zugehen lassen. Wenn der Tod unausweichlich war, würde er ihm entgegenmarschieren. Einen letzten Trumpf ausspielen.
Der ermüdende Marsch ging weiter, und diesmal verlor Arekhs Verstand sich nicht in einem Delirium aus Morast und Schicksalsfäden. Er war bei Sinnen, jeder Schritt war durchaus wirklich, jedes Leid offensichtlich, und das machte es nur noch schwerer. Wahnsinnig zu werden wäre die bes sere Lösung , dachte er, und es wäre auch weniger schlimm, gleich zu verdursten. Vielleicht wartete der Wahnsinn auch nur auf ihn, um ihn in einer Stunde zu erfassen, oder in
Weitere Kostenlose Bücher