Pakt der Könige
Harabecs verdammt. Nein, er hatte das einzig Richtige getan, und da er dabei zugleich noch König geworden war, hatte er das Geschenk ja wohl kaum zurückweisen können …
Die ersten Sterne der göttlichen Runen erstrahlten am Himmel. Harrakin hatte sich, als Marikani mit ihm gesprochen hatte, nur eine einzige Frage gestellt und stellte sie sich jetzt wieder, während die Rune der Knechtschaft in den Schatten aufleuchtete. Warum? Warum hatte sie geredet? Warum hatte Marikani einen solchen Fehler begangen, nachdem sie über so viele Jahre hinweg ihre Rolle perfekt ausgefüllt hatte? Warum hatte sie alles gestanden, obwohl sie doch glücklich miteinander hätten leben und den Thron hätten teilen können? Harrakin zuckte die Achseln und drehte sich zu den Mauern von Salmyra um. Jedes Wesen hatte gewisse Schwächen und dunkle Seiten. Er kannte die Seelen nicht gut genug, um über die seiner Frau ein Urteil fällen zu können.
Oben auf dem Wehrgang hatten Soldaten große Feuer entzündet und bereiteten siedendes Öl vor. Louarn hatte sich nicht gerührt; mit angespanntem Gesicht starrte er in die Wüste hinaus, in der in ein oder zwei Stunden oder vielleicht erst in ein paar Tagen die düsteren Umrisse der Reiter aus seinen Albträumen erscheinen würden.
»Die Stadt ist noch nicht verloren«, sagte Harrakin. »Wir werden kämpfen.« Louarn reagierte nicht, und Harrakin fuhr fort: »Eure Armee ist da, meine Männer, die Leute des Emirs, die Söldner aus Reynes …«
Endlich nickte Louarn. »Ihr habt recht. Wir werden kämpfen. Wir haben noch eine Chance.«
Aber er wich Harrakins Blick aus, als sie in die Stadt zurückkehrten.
Kapitel 19
»Mein Platz ist auf den Mauern«, sagte Arekh. Er ging schon seit einer kleinen Ewigkeit im Vorzimmer des Shi-Âr Veryill auf und ab.
Die Nacht war bereits vor über vier Stunden hereingebrochen, und die zweite Welle der Meriniden brandete gegen die Mauern an. Arekhs Nâlas kämpften jetzt gerade gegen sie und unternahmen bestimmt in regelmäßigen Abständen Ausfälle, um den Feind zu entmutigen. Aber Arekh durfte nicht bei ihnen sein. Veryill, der jüngste Shi-Âr, den Arekh kaum kannte, da er angeblich krank war und deshalb nur selten an den Ratssitzungen teilnahm, hatte ihn herbestellt und genaue Anweisungen gegeben, dass er den Palast nicht verlassen sollte, bevor er ihn gesehen hatte. Und der Befehl wurde sehr ernst genommen. Die private Garde der Shi-Âr hatte Arekh - mit äußerster Höflichkeit - daran gehindert zu gehen, als er es gewollt hatte.
»Shi-Âr Veryill braucht Euch«, wiederholte der Sekretär, der die Tür bewachte, und las gleichzeitig weiter in den Dokumenten auf seinem Schreibtisch.
»Ihr hättet nicht zufällig ein Glas Wasser?«, fragte Arekh.
Die Untätigkeit machte ihn verrückt. Wenn er sich nicht bewegte, dachte er nach, und wenn er nachdachte, dann …
»Nicht hier, nein«, sagte der Sekretär mit melodiöser Stimme, die von seiner perfekten Erziehung zeugte. »Aber morgen früh wird die Wasserverteilung wieder beginnen.«
»Sind die Soldaten mit Wasser versorgt worden?«
»Selbstverständlich. Die letzten Reserven sind an sie ausgegeben worden.«
Seine Stimme wurde immer sanfter. Arekh beobachtete den Mann einen Moment lang, ging dann quer durchs Vorzimmer, rüttelte an der Klinke der Tür, die er verschlossen fand, und sprengte den Riegel mit einem Fußtritt.
»Wie könnt Ihr es wagen …?«, begann der Sekretär.
Arekh betrat die Gemächer des Shi-Âr.
Sie waren leer.
Vollkommen leer: Es waren weder Gegenstände noch Menschen dort. Der kostbare Tand, die Verzierungen aus Gold und Edelsteinen, mit denen die führenden Familien von Salmyra ihre Wände zu schmücken pflegten, die antiken Teppiche … Alles war verschwunden. Arekh drehte sich nach dem Sekretär um, der ihm gefolgt war und nun ebenfalls die leeren Wände betrachtete.
»Wo ist er?«, fragte Arekh kalt.
Der Sekretär zögerte, und Arekh sah seinen Augen an, wie Erziehung und Pflichtergebenheit in ihm mit der Furcht rangen. »Er ist abgereist«, sagte er schließlich.
»Abgereist … Er hat Salmyra verlassen? Mit seinen Frauen und Dienern?«
Der Sekretär nickte.
»Warum habt Ihr mich dann hierbehalten?«, fragte Arekh in einem Ton, der jeden hätte zittern lassen.
Aber der Sekretär schien mittlerweile jenseits aller Angst zu sein. »Shi-Âr Veryill wollte Euch als Teil seiner Eskorte - Euch und zwanzig Mann, um aus der Stadt zu fliehen und
ihn über die Berge zu
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