Pakt mit dem Feind
den Fingerspitzen berührte, zuckte sie zusammen. “Ich glaube nicht, dass etwas gebrochen ist”, sagte sie mühsam. “Aber meine Wange tut teuflisch weh.”
Sie schloss die Augen. “Dass Wyatt ungehalten reagiert, weil ich Max ihm vorgezogen habe, habe ich erwartet. Aber das eben? Er hat sich wie ein Verrückter aufgeführt. Einiges von dem, was er gesagt hat, ergibt einfach keinen Sinn. Zweimal hat er etwas davon gefaselt, dass Mimosa Landing eigentlich schon lange seiner Familie gehören sollte.”
“Tatsächlich?” Tante Talitha seufzte. “Das kann ich dir erklären. Eigentlich wollte ich diese unangenehme Geschichte hinter mir lassen, deshalb habe ich dir nie davon erzählt. Außerdem war mir peinlich, dass ich überhaupt darauf reingefallen bin. Wyatt stellt diese Behauptung auf, weil ich vor über vierzig Jahren eine kurze Zeit mit seinem Vater Henry verlobt war.”
“Was?” Das Wort ‘fassungslos’ beschrieb Elizabeths Gemütszustand nicht einmal annähernd. Und dabei hatte sie gedacht, dass sie die gesamte Familiengeschichte kannte!
“Es war, nachdem Martin getötet wurde. Ich mochte Henry Lassiter, aber ich liebte ihn nicht. Martin hatte ich verloren, also dachte ich, was soll’s. Vielleicht könnte Henry mir Kinder schenken, die ich lieben konnte. Gott sei Dank habe ich rechtzeitig herausgefunden, dass Henry wie sein Vater ein Mann war, der Menschen missbrauchte, körperlich und seelisch.”
“Wirklich? Wer hat dir das gesagt?”
“Henrys eigene Mutter, Mary Beth Lassiter. Sie war eine schüchterne, entmutigte Frau. Manchmal kam sie einem vor wie ein Gespenst, so sehr hielt sie sich immer im Schatten ihres Mannes. Beinahe als wollte sie sich unsichtbar machen. Man bekam sie kaum jemals ohne irgendeine Verletzung zu Gesicht – mal ein Bluterguss oder eine aufgeplatzte Lippe, mal ein Knochenbruch.
Die Ärmste. Ihre ganze Ehe lebte sie in Angst und Schrecken vor Clive Lassiter, Henrys Vater und Wyatts Großvater. Die meiste Zeit hat sie versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. Wenn das nicht möglich war, hat sie alles getan, um es ihrem Mann recht zu machen, damit er sie nicht schlug. Leider kann man einem solchen Menschen nichts recht machen. Also musste sie sich immer wieder misshandeln lassen.
Damals gab es noch keine Frauenhäuser so wie heute. Und die Polizei mischte sich in häusliche Angelegenheiten nicht ein. Frauen waren auf sich allein gestellt.”
Das erklärte, warum ihre Tante immer so außerordentlich großzügig für Frauenhäuser spendete, erkannte Elizabeth in diesem Augenblick.
“Das arme Ding”, bemerkte Iona mitleidig.
“Ja. Aber Gott sei Dank hat sie eines Tages genug Mut aufgebracht, um mich zur Seite zu nehmen und zu warnen. Sie erzählte mir, Clive Lassiter hätte sie wegen ihres Besitzes geheiratet, und ihr Sohn habe mit mir dasselbe vor, sagte sie. Aber sie wolle nicht, dass ich das gleiche Schicksal erleide wie sie.
Natürlich habe ich noch am selben Tag die Verlobung gelöst.” Tante Talitha verzog das Gesicht. “Henry ist ausgerastet. Wenn dein Vater nicht bei mir gewesen wäre, hätte er mich geschlagen, da bin ich mir sicher. Seither bin ich ihm aus dem Weg gegangen, so weit es nur ging. Aber er gibt mir immer noch die Schuld dafür, dass Mimosa Landing nicht in seinen Besitz übergegangen ist. Dabei wusste er natürlich genau, dass ich als Mitgift nur einen kleinen Teil des Landes bekommen hätte. Außerdem war der Erbe der Farm ja längst geboren – dein Vater, Elizabeth. Aber irgendwie muss er geglaubt haben, dass er sein Ziel schon erreichen würde, wenn er erst zur Familie gehörte. Anscheinend hat er diese verrückte Idee an seinen Sohn weitergegeben.”
“Ich verstehe”, murmelte Elizabeth. Auf einmal war ihr einiges klar geworden. Sie war sich schon seit Langem bewusst, dass ihre Tante die Lassiters, und vor allem Henry, nicht mochte. Wann immer sie sich begegnet waren, hatte ihre Tante geradewegs durch ihn hindurchgesehen. Sie tat, als ob er gar nicht existierte, und weigerte sich, mit ihm zu sprechen. Elizabeth hatte ihre Tante ein paarmal gefragt, was es damit auf sich hatte. Aber Tante Talitha hatte ihr lediglich erklärt, sie könne den Mann nicht ausstehen. Jetzt wusste Elizabeth, warum.
Vermutlich ließ sie die Rechtsgeschäfte der Familie auch nur deshalb von Henrys Partner erledigen, weil John Fossbinder als bester Anwalt weit und breit galt.
Iona warf einen Blick auf Elizabeths Wange. “Ach du meine Güte. Da brauchen wir
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