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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Sie echte Größe zeigen und Ihren Plan aufgeben würden. Bitte, verzichten Sie darauf, Bürgermeister von Silencia zu werden! Geben Sie uns die Freiheit zurück – der Stadt, ihren Menschen… und mir. So Gott will, kommt alles wieder ins rechte Lot.«
    »Allein Ihre feurige Fürsprache kommt ein wenig spät. Eine überwältigende Anzahl Menschen hat heute zu Unseren Gunsten – wohl ohne zu wissen, was das wirklich bedeutet – ihre Stimme abgegeben.« Zitto kicherte leise in sich hinein. »Wir haben am Abend die Wahl gewonnen. Ab Mitternacht sind Wir der vom Volk gewählte Herrscher Silencias. Mit dem letzten Glockenschlag des Uhrenturms ist die Zukunft meiner neuen Untertanen besiegelt.«
    Die Nachricht traf Pala wie ein Hieb mit der Keule. Ihre Schultern sanken kraftlos herab. Mit hängendem Kopf sagte sie: »Dann ist also alles zu spät.«
    »Es gibt immer einen Stärkeren, kleines Mädchen. Je eher man sich damit abfindet, desto leichter lebt es sich.«
    Zittos siegessichere Aufgeblasenheit war für Pala wie ein rotes Tuch. Obwohl sie den Herrn der Bücherburg fürchtete, wäre sie ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Dazu kam es jedoch nicht, und das lag weniger an ihrer Kinderstube. Sie hielt bei gesenktem Haupt inne, zwang die Mutlosigkeit und Verzweiflung noch einmal nieder, weil er sie mit seiner letzten Bemerkung an das Scheitern des Unaussprechlichen erinnert hatte.
    Vielleicht war noch nicht alles verloren. Sie musste nur herausfinden, worüber sich Giuseppe und die alten Sagen bisher ausgeschwiegen hatten: Was war dem namenlosen Schurken zum Verhängnis geworden? Langsam hob sie wieder den Blick.
    »Warum ich, Zitto?«
    »Was beliebt Sie zu fragen?«
    »Weshalb haben Sie gerade mich ausgesucht? Mein Geburtsgedicht – das waren doch Sie, der es meinen Eltern geschenkt hat, oder?«
    »Es hätte Uns schwer enttäuscht, wenn Sie darauf nicht gekommen wäre. Obgleich – höchstselbst haben Wir Ihren Zieheltern das Gedicht nicht überbracht. Es war ein… Mittler, dem Wir es gaben.«
    »Ein Bote, meinen Sie?«
    »So könnte man es nennen.«
    Die merkwürdige Ausdrucksweise Zittos verwirrte Pala. Er selbst gebärdete sich ja wie ein Bote längst vergessener Tage. Ohne es zu merken, verfiel sie nun ihrerseits in einen altertümlichen Ton. »Warum wollt Ihr meine Frage nicht beantworten, Zitto?«
    Der Burgherr lächelte geheimnisvoll. »Weshalb sollten Wir?«
    Pala schnappte nach Luft. »Wie bitte? Ihr legt mir ein Sonett in die Wiege, nehmt mich gefangen, nachdem Ihr mich in diese Burg gelockt…«
    »Sie selbst hat sich den Weg in die Zitadelle gesucht. Unsere Anerkennung haben Wir Ihr dafür schon ausgesprochen.«
    »Wofür ich Euch danke, Zitto. Aber ich bin nicht hierher gekommen, um Lob einzuheimsen. Ihr seid mir Rechenschaft schuldig. Warum das Geburtsgedicht? Sagt es mir!«
    Nun durchwallte den Schlossherrn ein Ausbruch von Heiterkeit in bis dahin noch nicht beobachteter Heftigkeit. Obwohl er nur wenige Laute von sich gab, hüpfte doch sein ganzer Leib. Das Glitzergewand wogte dabei im Takt. »Köstlich!«, ergötzte er sich. »Absolut köstlich, kleines Mädchen! Wir sollten Euch Rechenschaft schulden? Nein, so etwas Putziges…«
    »Still!«, schrie Pala. Es war ein Ausruf der Verzweiflung, weil sie sich nicht anders zu helfen wusste. Überraschenderweise schwieg Zitto tatsächlich, als habe ihm ein Bannwort die Sprache blockiert. Pala stieß sich wiederholt mit steifem Finger auf die Brust und ihre Stimme bebte, als sie unter Tränen sagte: »Hier, in meinem Herzen, fühle ich, mein Recht auf die Wahrheit wiegt ebenso schwer wie jenes auf die Freiheit. Diese Angelegenheit könnt Ihr nicht totschweigen.«
    Zitto kratzte sich am Kopf. Er schien ernsthaft über Palas Worte nachzudenken. Einmal warf er einen Blick auf sein Pergament; als enthielte es die Antworten auf alle Lebensfragen, drückte es aber bald wieder an die Brust und grübelte weiter. Nach einer Weile stahl sich ein durchtriebenes Lächeln auf seine Lippen.
    »Na schön, wenn Sie denn so beharrlich auf Ihr Recht pocht, dann können Wir uns diesem Anliegen natürlich nicht verschließen. Wir schlagen Ihr einen Handel vor.«
    Pala schwante nichts Gutes. »Ein Geschäft?«
    »Eigentlich ist es ein Wettstreit. Nur keine Sorge, kleines Mädchen, nicht ein Tropfen Blut soll dabei fließen. Dieser Kampf wird nicht mit Schwert und Speer ausgetragen, sondern mit Worten.«
    Pala erinnerte sich mit Bangen an Tozzos Erzählungen über Zittos

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