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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Wortgewalt. Er sei der Meister aller Redner, ein König unter den Dichtern, hatte er gesagt. Ihr Herz raste. Sie schwitzte, obwohl ihr kalt war. Wenn sie doch nur wie Tozzo auf und davon fliegen könnte…!
    Aufgeben willst du also, mäkelte die Stimme in ihrem Kopf. Das sieht dir ähnlich! Pala schloss die Augen. Sie musste ihre Angst niederzwingen und Zittos Herausforderung annehmen. Nur so konnte sie seine Machenschaften noch durchkreuzen. Als Wortschöpferin hatte sie im Schlossgarten ihr Können unter Beweis gestellt. Sagte Tozzo nicht auch, wer diese Gabe besitze, könne Zitto trotzen? Sie holte tief Luft, um ihrer Stimme Festheit zu verleihen, öffnete die Augenlider und sagte leise: »Lasst hören.«
    Zitto blickte sie prüfend an. Er schien mit dieser Antwort nicht gerechnet zu haben. Dann aber grinste er. »Sie gefällt Uns. Dieses Feuer, dieser Mut – früher waren Wir selbst einmal so. Gleichwohl, hier sind die Regeln: Die Wettkämpfer wechseln sich darin ab, Sätze zu bilden, die jeweils um mindestens ein Wort länger sind als der vorhergehende, aber alle Worte haben mit demselben Buchstaben zu beginnen. Jeder Spieler darf seine eigenen Worte nicht mehr als einmal nennen – der gleiche Begriff kann also höchstens zweimal benutzt werden. Namen sind nur, wenn allgemein bekannt, erlaubt. Hat Sie alles verstanden?«
    Pala konnte sich nur schwerlich ein Schmunzeln verkneifen. Mit diesem Spiel hatten sie und Nonno Gaspare sich früher oft die Zeit vertrieben. »Ich bin nicht blöd. Was ist Euer Einsatz?«
    »Wenn Sie gewinnt, werden Wir Ihre Fragen und Ihr Gesuch auf Freilassung wohlwollend überdenken. Falls Sie jedoch verliert, wird Sie in Unsere Dienste treten. Abgemacht?«
    Pala schluckte. »Abgemacht.«
    »Geh Er nach draußen und schließe hinter sich die Tür«, befahl Zitto dem Fünffüßigen Jambus. Die Schabe gehorchte umgehend. Sich wieder seiner Gegnerin zuwendend, sagte er: »Früher gehörten derartige Spielchen zu Unseren ›Fingerübungen‹. Wir haben damit Unseren Geist geschmeidig gehalten. Will Sie wirklich gegen Uns antreten?«
    »Früher?«, stieß Pala hervor. »Ich sage nur eins: ›Zaudern zerstört Zinsen – zur Zukunft zeigt Zitto‹. Ihr habt mir diesen Wettkampf angeboten, weil Ihr Euch darin als Meister wähnt. Und nun fangt endlich an.«
    Zitto lächelte siegesgewiss, bettete sein geliebtes Pergament behutsam auf die lederne Schreibunterlage und kam um den Tisch herum. Diesmal wich ihm Pala nicht aus. Auf Schrittlänge standen sie sich gegenüber und blickten einander grimmig in die Augen. Zitto holte tief Luft. Fast schien es so, als wolle er gar nicht mehr damit aufhören, aber dann führte er seinen ersten Hieb.
    »Zitto!«
    »Das ist kein Satz.«
    »Unser Name bedeutet ›still‹ – wusste Sie das nicht? Hat Ihre Mutter etwa nie ›Still!‹ gerufen, wenn sie in Ruhe ihrem Papperla-Papagei zuhören wollte?«
    Und ob sie das getan hatte! Mit einem Mal fiel es Pala wie Schuppen von den Augen. Eben erst hatte sie Zitto mit seinem eigenen »Zauberwort« schweigen geheißen. Und auch die Befreiung aus dem Haus des Schweigens verdankte sie einem läppischen »Still!«. Sie knirschte mit den Zähnen und schlug zurück.
    »Zitronen zermatschen.«
    Zitto nickte anerkennend. »Zerknüllte Zeitungen zerfallen.«
    Palas Augen verengten sich. »Zerstreute Zaungäste zerschneiden Zwiebeln.«
    Nach jedem Satz mussten die beiden Wettkämpfer länger nachdenken. Natürlich hofften sie, dem anderen würde nichts mehr einfallen. Doch beide waren Wortschöpfer, der eine erfahren, die andere biegsam im Geist. Bald gingen die Sätze wie mächtige Schwerthiebe hin und her. Zitto brach der Schweiß aus. Sein Gesicht leuchtete rot vor Zornesglut. Die Arme steif an den Körper gepresst, ballte er die Hände zu blutleeren Fäusten – aber sie zitterten trotzdem. Er hatte das dünne Mädchen unterschätzt. Wenn er einen neuen Satz herauswürgte, stöhnte er wie unter größten Anstrengungen, und auf jeden Gegenstoß Palas reagierte er wie auf einen Stich mit glühender Lanze. Die Suche nach der eigenen Antwort machte ihn taumeln, als stünde er auf einem äußerst ungestümen Erdbeben. Er krümmte sich und keuchte.
    »Zittern zarte Zypressen zu Zittos Zitadelle, zirpen zwei Zikaden zusammenhanglos.« Palas Satz war für Zitto wie ein Treffer mit der flachen Klinge. Er sank auf ein Knie und ächzte. Lang, sehr lang suchte er nach einer passenden Erwiderung. Auch an Pala war der Kampf nicht spurlos

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