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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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vorübergegangen. Nie zuvor hatte sie so lange Wettkampfsätze gebildet. Sie atmete schwer, wenngleich sie noch erheblich frischer wirkte als ihr Gegenspieler. Der schüttelte das strähnige Haupt. Schon sah sie sich als Siegerin, als Zitto mit letzter Anstrengung doch noch einen längeren Satz hervorstieß.
    Pala schloss die Augen und ließ den Kopf hängen, als wolle sie ihre Niederlage anerkennen. Ihr Gesicht blieb unbewegt, erstarrt in einem Ausdruck großen Ernstes. Ein kurzatmiges Kichern drang an ihr Ohr. Es klang siegessicher. Aber da hob sie noch einmal ihre Augen, sah Zitto fest ins Gesicht und sagte mit diamantharter Stimme: »Zehntausend zählebige zappelnde Zwergstichlinge zieren zerfurchte Zimmerdecken zur Zermürbung zitternder zorniger Zigarrenraucher; zudem zerspringen ziemlich zugleich zweiundzwanzig zuckersüße Zirkusdirektoren.«
    Zitto zitterte. Zischende Laute entwichen Mund und Nase, ansonsten brachte er kein Wort hervor. Er sackte auf beide Knie und wäre fast vornübergefallen. Nur mit Mühe konnte er sich an der Kante des Schreibtisches festhalten. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Vermutlich war dies seine erste Niederlage – zumindest seit langer Zeit. Endlich röchelte er: »Das gilt nicht.«
    Pala traute ihren Ohren nicht – auf keinen Fall wollte sie sich ihren Sieg wieder nehmen lassen – und begehrte auf: »Was gibt es an meinem Satz auszusetzen?«
    »Zirkusdirektoren zerspringen nicht«, sagte Zitto. »Der Satz macht keinen Sinn.«
    »Zuckerguss-Zirkusdirektoren schon«, beharrte Pala. »Außerdem verlangen die Regeln keine sinnvollen Sätze.«
    Zitto wand sich wie ein Aal. »Dann rufen wir eine Kommission ein. Die soll darüber entscheiden.«
    »Wie bitte? Und wer wird darin sitzen?«
    »Unsere Fünffüßigen Jamben.«
    »Na herrlich! Bei so einem Schiedsgericht kann ich mir schon denken, wie das Urteil ausfallen wird. Ich habe gewonnen, Zitto. Findet Euch damit ab und zahlt Euren Preis.«
    »Regelwidrigkeiten führen zur Disqualifikation.«
    Pala steckte in einer Zwickmühle. Der Schlossherr saß am längeren Hebel. Er konnte sie hier festhalten und so lange über seine Machenschaften schweigen, bis alles zu spät war. Was sollte sie tun? Die Verzweiflung wollte sie schon übermannen, als sie sich unerwartet des Sonetts entsann, das sie kurz vorher auf dem Schreibtisch entdeckt hatte. Vielleicht vermochte sie dem Ränkeschmied wenigstens für kurze Zeit den darin beschworenen Frieden abzutrotzen. Mit leiser Stimme wiederholte sie Zittos eigene Worte.
    »Die Einigung sucht man in Kompromissen.«
    Zu ihrer Überraschung löste sich des Alten unnachgiebige Miene, wirkte mit einem Mal nicht mehr so verkrampft, beinahe schon heiter, als er erwiderte: »Sie kann sich gar nicht vorstellen, wie überdrüssig Wir der Jamben sind!«
    Palas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Was wollt Ihr damit andeuten?«
    »Was Ihr Ansuchen betrifft, gebe Sie Uns ein wenig Bedenkzeit. Und gewähre Sie Uns in der Zwischenzeit die Ehre Ihrer Gesellschaft – nur für ein einziges Nachtmahl. Sie soll Uns das Essen auftragen und sich nachher zu Uns an den Tisch setzen. Dann können wir miteinander reden.«
    »Meint Ihr das wirklich ernst?«
    »Die Lüge ist tot. Sie selbst hat sie im Wortbruch zermalmt. Welche Erwiderung braucht Sie da noch?«
    Pala musterte den Greis argwöhnisch. Wenn sie sein Angebot ablehnte, würde er sie von seinen Fünffüßigen Jamben vermutlich ins tiefste Verlies der Burg werfen lassen. Sie steckte in einer Zwickmühle. Wohl oder übel würde sie das grausame Spiel Zittos noch eine Weile mitspielen und sich, ganz im Sinne seines eigenen Gedichts, als klug erweisen müssen, denn die Klugen selbst in Not seh’n Hoffnungszeichen.

 

 
Die Klugen selbst in Not seh’n Hoffnungszeichen.
Den Waffenstillstand nehmen sie zum Grunde,
zu reden Engelsworte mit dem Munde,
um selbst die harten Herzen zu erweichen.
 
Vor klarer Rede darf man nicht erbleichen, 
    denn die  von  Zorneswort geriss’ne Wunde,
die blutet lang und Hass macht neu die Runde,
wo sollten Freunde sich die Hände reichen.
 
In seiner Wesensart sich umzuwandeln,
kann nur, wer macht in Demut sich zum Knappen
und ist entschlossen, liebevoll zu handeln.
 
Die »Rache!« schrei’n, die sollt’ man tunlichst schnappen,
anstatt mit ihnen sorglos anzubandeln,
besiegen mutig feige Jammerlappen.

 
    Die Klugen selbst in Not seh’n Hoffnungszeichen, wo Trottel kampflos sich dem Schicksal fügen.« Pala

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