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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Worte erschaffen kann. Zittonien, seine Welt innerhalb der Gartenmauer, besteht nämlich selbst nur aus Worten, ebenso wie seine Diener, die Wortklauber und jene fünffüßigen Kreaturen, die ihm in der Festung zur Hand gehen. Böse, böse Ungeheuer sind das!« Tozzo schüttelte sich, als müsse er seinen Flaum von Scharen fünffüßiger Schmarotzer reinigen, und fügte dann bedeutungsvoll hinzu: »Aber ein Wortschöpfer könnte ihm trotzen.«
    »Und wieso?«, fragte Pala.
    »Weil so einer in dieser Gartenwelt ungeahnte Kräfte besitzt.«
    Pala nickte gedankenvoll vor sich hin. Sie war eine Wortschöpferin, das hatte sie oft bewiesen. Aber konnte dieselbe Fähigkeit, die langen Bandwürmern aus Nudelbuchstaben Sinn verlieh, auch einen so mächtigen Gegner wie Zitto in die Knie zwingen?
    Sie wandte sich wieder dem kleinen Schwirrer zu. »Du musst mir nur noch eines verraten, Tozzo.«
    »Es kann sich schon denken, welche Frage jetzt kommt.«
    »Umso besser. Also: Warum kann man sich Zittos Festung nicht nähern? Wir haben es versucht, aber mit jedem Schritt rückte sie weiter von uns weg.«
    »Weil er seine Zitadelle mit einem verworrenen Wort der Macht geschützt hat.«
    »Das hast du schon einmal gesagt.«
    »Ich könnte seinem Gedächtnis massigleicht auf die Sprünge helfen, Schwesterchen«, erbot sich Giuseppe und stocherte schon nach einem geeigneten Knüppel in der erloschenen Feuerstelle herum.
    »Nicht nötig«, sagte Pala und blickte dem Scheusal tief in die Augen. »Tozzo?«
    Der Körper des Wortklaubers war ein einziges Sträuben. Er wand sich, brummte zornig mit den Flügeln, machte einen Kopfstand, wobei er wie ein Heißwasserkessel zischte, und landete dann doch wieder vor Pala auf dem Boden. Ein letztes pfeifendes Seufzen entrang sich seinem spindeldürren Hals, dann verriet er sein Geheimnis.
    »Jeder, der versucht hinaufzugelangen, ist wie ein Stein, der schneller und schneller einen Abgrund hinunterrollt, ohne je unten anzukommen. Er entfernt sich nur immer mehr und kann die Festung niemals erreichen.«
    »Der müsste eigentlich passen«, sagte Giuseppe und zog einen dicken, schwarzgrauen Ast aus der Asche.
    »Was soll denn das?«, beschwerte sich Pala.
    »Merkst du nicht, wie der Zwerg sein Spiel mit uns treibt? Sein Gerede ist wie das Treppenlabyrinth: unergründlich und ohne Ende.«
    Pala schüttelte den Kopf, der hierauf mit einem schmerzhaften Ziehen antwortete. »Du vergisst, wie wir den Ausgang gefunden haben. Wir mussten ein Rätsel lösen.«
    »Was für ein Rätsel denn?«
    »O Giuseppe! Ich dachte, das hätte ich dir schon erklärt. Das Rätsel lautet: In welchem Labyrinth kann man endlos treppauf, treppab steigen, ohne jemals einen Ausweg zu finden?«
    »Was du nicht sagst!«
    Pala lachte. »Jetzt tu nicht so erstaunt. Du selbst hast mich doch darauf hingewiesen: Einige Stufen führen zur Liebe, andere in den Hass und unterwegs necken uns eine Menge Abzweigungen. Erinnerst du dich nicht mehr? Ohne dich wäre mir vermutlich nie klar geworden, wie ich aus dem Irrgarten meiner Gefühle wieder herausfinden kann. Aber du sagtest, der richtige Weg müsse nicht unbedingt auch der leichteste oder nächstliegendste sein, ich solle mich meinen Irrtümern stellen. In dem Moment, als ich das tat, spürte ich einen seltsamen Ruck und dann war mit einem Mal der Ausgang da.«
    »Hm!«
    »Mach nicht so ein misstrauisches Gesicht. Zitto ist ein Meister der Sprache. Deshalb schützt er sich mit Rätseln. Langsam wird mir das immer klarer. Wenn Tozzo von ›verworrenen Worten der Macht‹ spricht, dann meint er im Grunde dasselbe. Rätsel sind oft Schlüssel zu neuen Wegen. Also denk nach, Giuseppe: Warum verändert sich dieser Garten ständig? Welche Bedeutung steckt dahinter?«
    Ohne eine Antwort ihres Freundes abzuwarten, versank Pala in tiefes Nachsinnen. Sie schien förmlich zu schrumpfen, blickte mit glasigen Augen zu Boden und ihre Finger zwirbelten eine Locke. »Je näher, desto ferner«, murmelte sie. Es war ein Spiel mit Worten und eigentlich kannte sie sich mit solchen bestens aus.
    »Ein Zuhause, vor dem man flieht, rückt einem mit jedem Schritt in die Fremde näher«, sinnierte Giuseppe. Er sprach wohl aus eigener leidvoller Erfahrung.
    Pala nickte wissend. »Sobald das Heimweh einen packt…« Sie richtete ihren Blick auf einen unsichtbaren Punkt, der sich weit jenseits des Waldes zu befinden schien. »Aber wenn mein richtiges Zuhause ganz woanders wäre als in der Alexandrinergasse, dann

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