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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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größere Baumlücke für einen dreifachen Überschlag. »Zitto ist ein Meister in solchen Spielchen.«
    »Deshalb blieb die Mauer über mir immer gleich hoch«, murmelte Pala haarlockendrehend. »So könnte es tatsächlich gewesen sein. Denkst du, Tozzo, wir werden Zittos Burg noch rechtzeitig erreichen?«
    »Tozzo denkt, Pala lenkt. Du bist die Wortschöpferin. Es hängt von dir ab.«
    »Giuseppe ist ein viel besserer Geschichtenerzähler als ich.«
    »Aber ihm fehlt etwas, das du besitzt, Pala. Tozzo spürt das. Tozzilein ist nämlich ein Wortgeschöpf. Es kann Dinge wahrnehmen, die ihr Menschen ein Leben lang nicht bemerkt.«
    Giuseppe schien darunter zu leiden, von einem rostroten Scheusal in die zweite Reihe gestellt worden zu sein. Eine Zeit lang stiefelte er mürrisch neben Pala her, bis er sich weit genug erholt hatte, um einen nützlichen Vorschlag zu machen.
    »Du siehst sehr erschöpft aus, Pala. Wenn es nicht darauf ankommt, ob wir die Festung heute, morgen oder noch später erreichen, dann können wir jetzt ebenso gut unser Nachtlager aufschlagen.«
    Der Eingabe wurde stattgegeben. Man baute sich notdürftige Schlafgelegenheiten aus trockenem Laub und Moos zusammen. Tozzo unternahm einen Rundflug, um nach wortrünstigen Artgenossen oder anderen verdächtigen Waldbewohnern Ausschau zu halten. Abgesehen von einigen Krabbelwesen und ein paar Nagern, die Pala allesamt fremd, aber in keiner Weise gefährlich vorkamen, bot dieser Teil des Gartens ein durchaus friedliches Bild. Fast zu friedlich, dachte sie, denn sie konnte sich einfach nicht an das Gefühl gewöhnen, in einem toten Gemälde zu sein, in der Theaterkulisse einer Landschaft, in einem leblosen Abklatsch dessen, was man gemeinhin unter Natur verstand.
    Während sie nach einer Beerenmahlzeit auf den Schlaf wartete, beschäftigte sie jedoch ein unbequemer Gedanke von ganz anderer Art. Tozzo hatte behauptet, es läge allein an ihr, ob sie Zittos Burg rechtzeitig erreichten oder nicht. Wenn er sich nicht irrte, und das hielt Pala für unwahrscheinlich, dann musste sie sich für den nächsten Tag etwas Besonderes einfallen lassen.
     
     
    »Heute Morgen ist’s wärmer als gestern.« Giuseppe reckte sich, um seine starren Glieder zur Mitarbeit zu bewegen.
    Pala saß am Waldboden und rieb sich die Augen. »Wann?«
    Giuseppe antwortete mit einem verwirrten Blick.
    Tozzo schwirrte zwischen zwei Bäumen heran, streifte einen trockenen Ast, der hierauf abbrach, und kam auf ziemlich unglückliche Weise im Erdreich neben Palas Lager zum Stillstand.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich besorgt. Unwillkürlich streckte sie ihre Hand aus und berührte den weichen Flaum an Tozzos Flanke. Der Wortklauber fühlte sich warm an, voller Leben, überhaupt nicht insektenhaft.
    »Danke, danke, danke«, bedankte er sich, »du bist sehr freundlich zu Tozzo. Es hat vor uns einen Bach entdeckt. Den müssen wir überqueren.«
    »Und ist das ein Problem?«
    »Das hängt von dir ab.«
    Pala gestattete sich einen tiefen Atemzug. Tozzos nebulöse Auskünfte waren nicht unbedingt das, was sie in diesem Augenblick gebrauchen konnte. »Giuseppe«, wandte sie sich an den Erzähler, »ich habe mir ein paar Gedanken gemacht.«
    »Das ist meistens von Vorteil, Schwesterlein.«
    »Glaubst du, in Buchstabennudeln steckt eine unbekannte Macht?«
    »Wie lange hast du dar- nachgedacht?«
    »Kann ich nicht sagen. Ich bin irgendwann eingeschlafen.«
    »Das erklärt manches.«
    Pala sprang von ihrem Lager auf und verpasste ihrem Freund einen Schlag gegen die Schulter. »Alter Meckerfritze! Meine Frage ist ernst gemeint. Bin ich wirklich eine Wortschöpferin oder nur ein dummes Mädchen, das mit Nudeln spielt?«
    »Ich glaube, du kennst meine Ansicht dazu schon. Dumm mögen alle anderen sein, aber nicht du, Schwesterchen.«
    »Tozzo hat gesagt, ein Wortschöpfer besäße in dieser Gartenwelt große Kräfte. Ich habe mir das durch den Kopf gehen lassen. Mit Reittieren könnten wir wesentlich schneller vorankommen.«
    »Pferde, meinst du?«
    »Esel.«
    »Mir auch recht.«
    »Du bist der Esel, Giuseppe! Pferde gibt es schon. Sie sind Gottes Schöpfung. Er hat sie durch sein Wort erschaffen, wie Papa und Nonno Gaspare mir erzählt haben.«
    »Du meinst durch den Logos, von dem geschrieben steht: ›Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und göttlichen Wesens war das Wort.‹«
    »Sag ich doch. Gestern vor dem Einschlafen, während ich an Tozzos Bemerkungen denken musste, ist mir

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