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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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langsam den Antilowen, um sich zunächst mit ihnen vertraut zu machen. Nachdem sie die Tiere ausreichend vom Hals über den Rücken bis zu den braun-weiß gestreiften Hinterläufen getätschelt und ihnen mit den Fingerknöcheln die Nasenrücken massiert hatten (die Antilowen schlossen dabei ihre Augen und schnurrten behaglich), wagten sie eine erste Besteigung. Die kraftvollen Phantasiewesen blieben, wie angekündigt, lammfromm. Hoch zu Antilowe drehten das Mädchen und der Erzähler einige Proberunden.
    »Reitet sich wie geschmiert«, lobte Giuseppe das Werk seiner Freundin.
    »Und merkst du, wie kräftig sie sind?«, freute sich diese.
    »Da stecken eine Menge Pferdestärken drin«, beurteilte Tozzo die Lage von oben.
    Auf dem Rücken der Antilowen kamen sie zügig voran. Zittos Burg näherte sich deutlich schneller als noch am Tag zuvor. Bald verließen sie den Wald und ritten auf eine anmutige, von hohem Gras bedeckte Hügellandschaft hinaus. Die geschmeidigen Körper der großen Reittiere schwammen gleichsam durch die wogenden Halme. Zeitweise vergaß Pala sogar den ernsten Hintergrund ihrer Reise und genoss einfach nur das Spiel der Muskeln und Sehnen, die sich gehorsam ihrem Willen fügten. Sie hatte ihr Reittier Leokapi genannt, Giuseppe das seine Emilio.
    Am späten Vormittag stießen die beiden Reiter und ihr fliegender Begleiter dann auf das bereits angekündigte Hindernis.
    »Der Bach sieht harmlos aus«, schätzte Giuseppe. Die beiden Antilowen standen dicht an dem leise murmelnden Gewässer. Es war glasklar. Aus Leokapis Sattel glaubte Pala Fische zu erkennen, die wie Buchstaben aussahen, aber die glitzernde Wasseroberfläche mochte ihr auch Trugbilder vorspiegeln. Sie musste sich von dem verwirrenden Anblick regelrecht losreißen, um nicht völlig in seinen Bann zu geraten. Unschlüssig sah sie sich um. Dabei bemerkte sie in der Nähe ein Bauwerk aus großen grauen rechteckigen Steinen.
    »An der Biegung da rechts ist eine Brücke«, sagte sie und deutete in die entsprechende Richtung. Ohne Giuseppes Antwort abzuwarten, drückte sie hierauf ihre nackten Fersen in die Weichen des Antilowen und lenkte ihn zu dem Übergang.
    Je näher sie dem Bauwerk kam, desto mehr beschlich sie der Verdacht, es zu kennen. Hatte nicht früher eine ganz ähnliche Brücke am Ortseingang von Silencia gestanden?
    Ja, es bestand kein Zweifel. Genau wie bei dem Original, das vor Jahren abgerissen worden war, prangten auch hier rechts von der Auffahrt das steinerne Stadtwappen und links ein Löwe, der auf einem Stapel von Büchern hockte. Nur der unmittelbar vor dem Brückenaufgang in der Erde steckende armdicke Pfosten störte das vertraute Bild. An den Pflock war ein Schild genagelt.
     
    Seufzerbrücke bis auf weiteres geschlossen
     
    »Seufzerbrücke?«, murmelte Pala. Sie schielte an der Hinweistafel vorbei und erschrak. Die Brücke war eingestürzt.
    »Manchmal überqueren sie den Strom der Gedanken und reichen vom Innern der Seele bis hinaus in die Welt.« Tozzo schwebte neben den steinernen Überresten des Bauwerkes und beäugte es aufmerksam von der Seite.
    Pala riss sich von dem Schild los und sah den Wortklauber fragend an. »Wie bitte?«
    »Die Seufzer. Manche sind süß, andere zartbitter, aber die meisten nicht schwer zu fangen. Viele schaffen nicht einmal den Weg über eure Lippen. Eben gedacht und schon weggeschnappt. Übrig bleibt oft nur ein windiges Geräusch.«
    Ungläubig starrte Pala den in der Luft stehenden Wortklauber an. »Und daraus kann man Brücken bauen?«
    Tozzo kicherte. Sein Blick ruhte unverwandt auf der Flanke des steinernen Bauwerks. »Zitto schon. Möchte nicht wissen, wie viel Ächzen und Stöhnen er für die Seufzerbrücke hier einsammeln musste. Du solltest dir übrigens mal das hier ansehen, Pala. Wird dir bestimmt gefallen.«
    Sie schnalzte mit der Zunge und ließ Leokapi langsam die Böschung hinabsteigen, bis sie ihn unter dem Wortklauber zum Stehen brachte. Hinter ihr trabte Giuseppe auf Emilio heran. Alsbald lasen die beiden Reiter gemeinsam die in das Mauerwerk geschlagenen Verse des Brückengedichts.
     
    Das Netz von Ichsucht, Stolz und Neid zu kappen,
    ist schwer und mancher mag dabei erschlaffen.
    Obwohl im Wortgespinst nur Lücken klaffen,
    wird man verstrickt und Haien schnell zum Happen.
     
    Die falschen Freunde sind wie Pappattrappen,
    betörend reden sie wie eitle Laffen.
    Gibst du nicht Acht, wirst selbst bald zum Schlaraffen,
    im Müßiggang in jede Falle

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