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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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tappen.
     
    Doch Worten, die aus reiner Seele kommen,
    muss selbst der Lügenfürst mit Geifer weichen.
    Durch ihre Macht wird seine weggenommen.
     
    Bedachte Worte gold’nen Schlüsseln gleichen,
    denn aus verschlossenen Herzen freizukommen
    gelingt nur den an Wahrheitsworten Reichen.
     
    »Was hältst du davon?«, fragte Pala, nachdem sie Giuseppe ausreichend Zeit gegeben hatte, die Worte auf sich einwirken zu lassen.
    »Allmählich fällt es auch mir schwer, da noch an Zufall zu glauben: Der Auftakt dieses Sonetts stimmt genau mit der Schlusszeile des Baptisteriumgedichts -ein.«
    »Und was will uns das sagen?«
    »Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Gedichten.«
    »Mehr fällt dir dazu nicht ein?«
    »Es könnte sich um einen Sonettenkranz handeln.«
    Palas Stirn krauste sich. »Dieses Wort habe ich schon einmal gehört. Caterina Knüttelvers wollte im Zusammenhang mit den Klinggedichten darüber sprechen, aber dann schob sie ein Diktat dazwischen und wurde von der seltsamen Verflüchtigung der Worte befallen.«
    Tozzo zog eine brummende Schleife um Palas Kopf und sang begeistert: »Klinggedicht und Hinkgedicht bringen ins Dunkel klärend Licht…«
    Ein strenger Blick Palas ließ ihn verstummen.
    »Der Vergleich des Kleinen ist zwar etwas plump, aber im Grunde zutreffend«, sprang Giuseppe dem Wortklauber bei. »Wenn man so will, hinkt das fünfhebige Versmaß des klassischen Sonetts tatsächlich wie ein holzbeiniger Pirat: einer kurzen unbetonten Silbe folgt immer eine lange betonte, zusammen mit der schwachen am Schluss ergeben sich insgesamt elf.«
    »Humpelnde Seeräuber – wie poetisch!«
    »Stell dir die Klinggedichte lieber als Prinzessinnen vor, die sich anmutig im Takt einer schönen Melodie wiegen. Tanzen sie im Reigen, spricht man von einem Sonettenkranz. Man sagt, er sei die Königin der Gedichte: Die Endzeile jedes Sonetts muss den Anfang des nächsten bilden, das vierzehnte verbindet sich in gleicher Weise wieder mit dem ersten – so entsteht der Kranz.«
    »Gut und schön, aber was nützt uns dieses Wissen?«
    Giuseppe schob die Unterlippe vor und hob gleichzeitig die Schultern. »Wenn ich das wüsste, Schwesterchen…«
    Pala legte den Kopf in den Nacken, wo der Wortklauber kopfunter langsam um seine Längsachse kreiste. »Was ist mit dir, Tozzo, hast du eine Erklärung dafür?«
    »Erklärung, Erkältung bringt Unruh zur Geltung«, antwortete es aus der Luft.
    Giuseppe stöhnte: »Der Zwerg kostet mich noch den letzten Nerv! Ich hätte meine große Fliegenklatsche mitnehmen sollen, Schwesterlein.«
    »Schwesterlein und Lästerschwein dürften gar nicht traurig sein«, sang der rostrote Luftakrobat.
    Pala konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Du musst versuchen, dich in Tozzos Lage zu versetzen, Giuseppe. Er ist innerlich zerrissen. Ich glaube, er würde uns gerne helfen, aber er kann es nicht.«
    »Komische Art, uns das zu sagen.«
    »Mag sein, jedenfalls müssen wir den Weg, der uns zu Zittos Burg führt, schon selbst finden. Suchen wir uns eine flache Stelle und reiten ans andere Ufer.«
    Sie galoppierten ein kurzes Stück den gewundenen Wasserlauf entlang, bis sie, noch in Sichtweite der eingestürzten Brücke, eine Furt entdeckten. Die Uferböschung war an dieser Stelle sehr flach, sogar ein schwerer Ochsenkarren hätte in den Bach hinabfahren können. Pala rutschte von Leokapis Rücken und sah misstrauisch in das ruhig dahinfließende Gewässer. Die runden Kiesel des Bachbettes schimmerten dicht unter der Oberfläche. Einige der scheuen Wasserbewohner huschten davon, sobald der Blick des Mädchens sie nur streifte.
    »Eigenartige Geschöpfe«, grübelte sie.
    Tozzo ließ sich etwas tiefer sinken und sagte voller Abscheu: »Verratfische!«
    »Nie gehört.«
    »Man nennt sie auch Silberlinge. Schmecken ekelhaft. Man sagt, schon dreißig Stück davon seien tödlich.«
    »Dreißig?«, japste Giuseppe. »Ich glaube, dreißig Sardinen würden dich alten Brummzwerg genauso umbringen. Deine Wampe…«
    »Giuseppe!«, unterbrach Pala ihren Freund. »Eure Streiterei führt doch zu nichts. Lasst uns lieber einen Weg finden, wie wir auf die andere Seite kommen.«
    »Wir könnten Emilio und Leokapi durchs Wasser treiben.«
    »Das sieht dir ähnlich.«
    »Warum zögerst du?«
    »Ich muss an das Brückengedicht denken: Obwohl im Wortgespinst nur Lücken klaffen, wird man verstrickt und Haien schnell zum Happen. Mir ist dieser Bach nicht geheuer.«
    »Abgesehen von ein paar silbrigen

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