Paladin der Seelen
Raum beansprucht, als sie ausfüllen konnte.
Ista kam es so vor, als wollte Joen ganz Jokona mit ihrer Autorität erfüllen, wie eine Frau ihren Haushalt erfüllen mochte, und das mit denselben Methoden. Und niemand konnte sich derart überdehnen. In einer schrankenlosen Welt mit unbegrenztem Raum konnte man sich vielleicht bewegen, wie man wollte, doch man musste zwangsläufig Raum für den Willen anderer lassen. Nicht einmal die Götter konnten alles beherrschen. Menschen mochten die Körper anderer Menschen versklaven, doch der unausgesprochene Wille der Seele war selbst den Göttern heilig und unantastbar. Joen ergriff ihre Sklaven von innen her. Was Joen ihren Feinden antat, mochte man Krieg nennen. Doch was sie mit ihren eigenen Leuten machte, war ein Frevel.
Fürst Sordso nahm den Ehrenplatz ein. Er verzog das Gesicht und sah sich im Zeltinnern um. Der Blick seiner Mutter fiel auf ihn, und er setzte sich aufrecht hin, plötzlich wachsam und aufmerksam.
Wieder wurden Istas Blicke zu der mondgesichtigen Prinzessin zu Joens Füßen hingezogen. Das Mädchen schien um die vierzehn zu sein, doch zurückgeblieben für ihr Alter, mit den dicken Fingern und den seltsamen Augen dieser spät geborenen Kinder mit schlichtem Verstand, die oft kein langes Leben vor sich hatten. Sie war eine Prinzessin, die dem Haushalt ihrer Mutter nicht durch Heirat in ein fernes Land entkommen konnte. Joens Hand ruhte auf ihrem Kopf, wenn auch nicht in einer Geste der Liebkosung, wie Ista erkannte. Sie benutzt das Mädchen als Behältnis für einen Dämon. Die Seele ihrer eigenen verachteten Tochter macht sie zu einem Verschlag für diese Kreatur.
Für den Dämon, den sie als Nächstes mir einsetzen will.
Joen erhob sich und blickte Ista an. Auf Ibranisch, mit starkem Akzent, sagte sie: »Ich heiße Euch auf meiner Türschwelle willkommen, Ista dy Chalion. Ich bin die Mutter von Jokona.« Sie nahm ihre Hand vom Kopf des Mädchens und ließ sie mit gespreizten Fingern vorschnellen.
In Istas Innerem entfaltete sich der Gott.
Wieder durchdrang das zweite Gesicht Istas Geist wie ein blendender Lichtblitz, strahlend jenseits aller Vorstellungskraft. Es enthüllte eine unheimliche Landschaft. Auf einen Blick sah sie alles: ein Dutzend Dämonen; die wirbelnden und Funken sprühenden Leinen der Macht; die gequälten Seelen; Joens dunklen, dichten, sich windenden Passagier. Den dreizehnten Dämon, der wild durch die Luft auf sie zuwirbelte und seine bösartige Nabelschnur hinter sich herzog.
Ista öffnete den Mund zu einem wilden Grinsen und schnappte den Dämon in einem großen Schluck.
»Willkommen, Joen von Jokona«, sagte Ista. »Ich bin der Schlund der Hölle.«
26
E
ine Lichtwelle brandete die dunkelviolette Schnur entlang, die Joen und Ista verband. Die Farbe der Verbindung schien sich zu vertiefen, ihr Glanz wurde intensiver. War es etwa Joens erste, erschrockene Reaktion, die Verbindung zu stärken? Einen verwirrten Augenblick lang fragte sich Ista, wer die Fischerin war und wer der Fisch. Dann fühlte sie, wie der widerstrebende, entsetzte junge Dämon in ihrem Innern sicher in die Hände des Bastards glitt.
Ihr habt Euch einen Gott geangelt, Joen. Was möchtet Ihr nun tun? Es war so, als habe eine Galeere einen Enterhaken auf einen Kontinent geworfen und versucht, ihn davonzuschleppen.
»Sie trägt den Dämonengott in sich!«, schrie Joen. »Tötet sie! Sofort!«
Ja. Das würde ausreichen …
Doch noch während Joen rief, schien die Zeit sich in Istas Wahrnehmung zu dehnen, wie kalter Honig, der an einem Wintermorgen vom Löffel tropfte. Doch die Zeit würde sich nicht ins Unendliche dehnen …
Wo soll ich anfangen, fragte Ista die Präsenz in ihrem Innern.
In der Mitte, lautete die Antwort. Der Rest muss zwangsläufig folgen.
Ista öffnete ihre körperlichen Hände und ließ die Finger ihres Geistes die violette Schnur entlanglaufen – und durch diese Verbindung in Joens Körper. Sie umschloss die dunkle Masse und zog sie zu sich hin. Widerstrebend, ungestüm und fauchend kam sie heran, verspritzte violette Schatten wie auslaufendes Wasser. Es verbrannte ihre Hände wie Säure, und sie schnappte nach Luft angesichts des unerwarteten Schmerzes, der geradenwegs ins Zentrum ihres Seins vorzustoßen schien und bis in alle Gliedmaßen zurückpulsierte, wie der Schock einer schweren Verletzung im ganzen Körper nachhallt. Das Geschöpf war dicht, und es war widerwärtig. Und groß. Und alt, Jahrhunderte alt
Weitere Kostenlose Bücher