Paladin der Seelen
Joen und Sordso hatten Arhys’ Kopf an ihrem Weg aufgestellt, als Symbol von Istas Scheitern, um sie verzweifeln zu lassen. Ob Arvol dy Lutez sich ebenso verlassen fühlte, als sein herabhängendes Haar zum zweiten Mal das Wasser berührte?
Und doch hatte dieses Symbol auch eine Bedeutung, die den Feinden entging. Die Erinnerung an die Niederlage war ebenfalls die Erinnerung an einen Sieg, zum Ausdruck gebracht durch die Abwesenheit von Arhys’ Seele in diesem Fleisch. Wie paradox.
Der Gott mag fort sein, doch ich bin noch da. Vielleicht ist dies meine Aufgabe in der Welt des Stofflichen: zu tun, was das Stoffliche am besten kann – durchhalten! Sie holte tief Luft und ging weiter.
Sie erreichten das größte der grünen Zelte. Eine Seite war hochgerollt und enthüllte ein Inneres, das aussah wie ein transportabler Thronsaal. Teppiche waren dick auf dem Boden verteilt. Ein Podium befand sich an der Rückseite; darauf stand ein Paar beschnitzter Stühle, die mit Blattgold verziert waren, sowie eine Ansammlung von Kissen. Überall war das Dunkelgrün gesetzter, ernsthafter mütterlicher Witwenschaft zu sehen und erdrückte selbst das Meergrün des jokonischen Wappens. Nie zuvor hatte Ista diese Farbe so sehr verabscheut.
Auf dem kleineren, niedrigeren der beiden Stühle saß die Fürstinnenwitwe Joen. Sie trug ein anderes, aber ebenso aufwendiges Gewand aus vielen steifen Kleiderschichten, wie bei ihrem ersten Zusammentreffen. Fünf Götter, war es tatsächlich erst gestern zu dieser Zeit gewesen, dass sie einander auf der Straße begegnet waren? Ihre Zofen knieten auf den Kissen, und eine mondgesichtige junge Frau, die vielleicht eine andere Tochter sein mochte, kauerte zu ihren Füßen. Ista konnte nicht sagen, wie viele von ihnen Zauberinnen waren. Ein Dutzend Offiziere stand kerzengerade und angespannt an jeder Seite. Ista fragte sich, ob alle elf angeleinte Dämonen, die Joen noch hatte, zu dieser … Demonstration anwesend waren.
Zwölf. Foix stand steif zwischen den jokonischen Offizieren. Sein Gesicht war zerschlagen und zerkratzt, aber gesäubert, und er trug frische jokonische Kleidung und einen grünen Wappenrock mit den fliegenden weißen Pelikanen. Seine Miene war benommen, und sein merkwürdiges Lächeln wirkte gezwungen und unnatürlich. Ista benötigte nicht einmal ihr verlorenes zweites Gesicht, um zu wissen, dass eine neue schimmernde Schlange von der Frau auf dem Podium zu ihm hinführte, und dass deren Fänge tief in seinen Bauch eingesunken waren. Auch Illvins Blick fiel auf Foix und glitt darüber hinweg.
Die Möglichkeiten für noch grausamere Prüfungen waren endlos. Zum Glück war die Zeit es nicht. Der bronzehäutige Offizier bedeutete Ista, bis zur Mitte der Teppiche voranzuschreiten, ins Zentrum dieser kurzen Zurschaustellung von Macht, Joen gegenüber. Illvin wurde mit der Schwertspitze einige Schritte hinter ihr zurückgehalten, hinter Istas rechter Schulter, und dass sie ihn nicht sehen konnte, bedauerte sie mehr als die Tatsache, dass er sie sehen musste. Sie fragte sich, welche letzte Demütigung für sie vorbereitet worden war.
Oh. Natürlich. Keine Demütigung. Kontrolle. Die Demütigung dort draußen hatte Sordsos Truppen befriedigen sollen, die immer noch von dem nächtlichen Gefecht erschüttert waren. Die Frau hier drin dachte praktischer.
Ista blinzelte. Zum ersten Mal sah sie Joen ohne ihr zweites Gesicht, ohne die gewaltige finstere Bedrohung durch den Dämon, der düster aus ihrem Bauch herausblickte wie aus einer pechschwarzen Grube, in die man fallen und für alle Ewigkeit stürzen konnte. Ohne ihren Dämon war sie nur … eine kleine, verbitterte, ältere Dame. Unfähig, Respekt zu erwecken, oder Treue zu erzwingen. Leicht zu übergehen. Unbedeutend. Fünf Götter, sie war tatsächlich unbedeutend. All ihre Möglichkeiten waren dahingeschwunden. Macht blieb ihre einzige Zuflucht. Starrsinn ohne geistige Größe.
Istas Mutter hatte einst mit ihrer Autorität den gesamten Haushalt ausgefüllt, von Mauer zu Mauer. Der Gemahl der Herzogin hatte Baocia regiert, doch in seiner eigenen Burg hatte er nur mit ihrer Duldung gelebt. Nachdem Istas ältester Bruder den Titel des Vaters geerbt hatte, verlegte er die Residenz, um der dauerhaften Kindheit zu entkommen, die ihn im Haus seiner Mutter erwartet hätte. Das war einfacher für ihn gewesen, als dort die Herrschaft zu beanspruchen. Doch stets hatte die alte Herzogin ihre Grenzen gekannt. Nie hatte sie einen größeren
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