Palast der Stürme
besprochen wurden, als müsse es dafür eine Mehrheit geben. Ebenso schlimm wie die sinnlosen Befehle wirkte sich der dichte Rauch aus, der es unmöglich machte, die Zahl der Meuterer abzuschätzen. Daher waren nur einige wenige Schüsse auf eine Baumgruppe abgegeben worden, wo jemand angeblich Stimmen gehört hatte. Die Brücke, die über den Abu Nullah und auf die Straße nach Delhi führte, war nicht geschützt.
Collier entdeckte einen jungen Captain der Dragoon Guards und trieb Adain so schnell an, dass das Pferd sich aufbäumte und beinahe auf den Hinterbeinen landete. Nachdem er ein paar Worte mit dem Offizier namens Captain Rosser gewechselt hatte, lief der junge Mann hastig zu Brigadier Wilson. Später erfuhr Collier, dass Rosser vorgeschlagen hatte, zwei Geschwader des Regiments und einige Einheiten der Artillerie loszuschicken, um die Rebellen auf ihrem Weg nach Delhi zu verfolgen. Sein Vorschlag wurde jedoch abgelehnt, da Wilson die Truppen nicht hatte aufteilen wollen.
Collier wartete jedoch weder auf den Ausgang des Gesprächs noch auf eine Genehmigung. Er spornte Adain an und ritt über die Brücke auf die Straße nach Delhi. Es waren nur noch vierzig Meilen bis zur Stadt, und Adain war ein kräftiges, unerschrockenes Tier. Er selbst war bewaffnet und auf der Hut – und er machte sich keine Illusionen mehr über den weiteren Verlauf dieser Nacht. Die meisten Meuterer waren zu Fuß unterwegs, und einige der Gefangenen waren noch durch die Fesseln behindert, von denen sie nicht vollständig befreit worden waren. Sie würden sich eine Zeit lang von der Straße fernhalten, da sie eine Verfolgungsjagd fürchteten, die wahrscheinlich für immer auf sich warten ließ. Mit einem harten, schnellen Ritt ohne Pausen hatte Collier gute Chancen, Delhi vor den Rebellen zu erreichen, so Gott wollte. Er könnte dann das Regiment vor ihrer bevorstehenden Ankunft warnen. Und sollte es den Aufständischen tatsächlich gelingen, vor ihm in der Stadt zu sein, so könnte er zumindest zu Roxane reiten und sie vor den Schrecken bewahren, die er in dieser Nacht hatte ansehen müssen.
Er weigerte sich, über die Möglichkeit nachzudenken, dass er mit den Meuterern zusammenstoßen und auf der Straße sterben könnte.
18
Delhi
Roxane schreckte aus einem grauenhaften Albtraum hoch. Auf ihrer Stirn sammelten sich Schweißperlen, tropften zwischen ihren Schulterblättern hinab und durchnässten das lose Oberteil ihres Nachthemds. Ihr Herz schlug wie eine riesige Pumpe. Sie rieb sich mit den Handinnenflächen über die Augen und strich sich die zerzausten Locken aus der Stirn. Einige Minuten blieb sie still unter dem Moskitonetz sitzen und lauschte den Geräuschen im Haus.
Der Duft nach Frühstück, eine Mischung aus Kaffee und frischen Früchten, zog die Treppe herauf. Der Koch, ein Moslem, beeilte sich im Moment besonders mit der Zubereitung. Er aß sein Frühstück zur gleichen Zeit, wie er es für die Bewohner des Hauses vorbereitete; am bereits sechzehnten Tag des Ramadan durfte er nach Sonnenaufgang weder essen noch trinken.
In dem trüben grauen Licht in ihrem Zimmer entdeckte Roxane einen grünen Gecko am Bettpfosten, der, seinem geschwollen Bauch nach zu urteilen, in der Nacht reichlich Moskitos gefressen hatte. Schon bald würde der Morgen dämmern.
Die Echse flitzte den Bettpfosten entlang auf den Boden, als Roxane die Decke zurückwarf und aus dem Bett sprang. Hastig wusch sie sich das Gesicht, ihre Arme und den schweißnassen Körper mit dem lauwarmen Wasser in der Schüssel. Das Handtuch am Ständer neben dem Waschbecken war noch feucht von der Nacht zuvor. Der Regen hing bereits schwer in der Luft, und der Himmel hatte sich wie eine Messingkuppel über die Erde gewölbt. Roxane zog ein leichtes Kleid über und bürstete und band ihr Haar. Obwohl sie nun bereits seit über einem in Indien war, hatte sie sich nicht daran gewöhnen können, diese kleinen Dinge von einer Dienerin machen zu lassen, und erledigte ihr Toilette jeden Tag ohne Hilfe.
Im Gang blieb sie einen Moment stehen, als sie den schwachen Geruch nach Holzrauch wahrnahm. Natürlich, sie hatte von einem Feuer geträumt. Von Flammen, so weit sie schauen konnte, und von einstürzenden Häusern, die in Glut und Asche lagen. Ihre Angst rührte von dem Geruch in der Luft und ihrer inneren Unruhe her. Es war ein Traum gewesen, und sonst nichts.
Sie betrat Seras Zimmer. Es war leer, also war ihre Schwester bereits aufgestanden und irgendwo im Haus
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