Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
Vom Netzwerk:
gerufen. Übersetzt lauteten sie: »Mit Allahs Hilfe werden wir alle Ausländer töten!«
    Collier wischte sich wieder das Blut von der Stirn und fragte sich, ob die Wunde tief war. Er spürte sie nicht – sie war taub. Sein ganzer Körper war taub, aber seine Gedanken jagten ihm fieberhaft durch den Kopf. Er wollte zu den anderen Offizieren stoßen, die auf dem Weg zum Gefängnis waren, um die Befreiung der Gefangenen zu verhindern. Sie hofften, die wütende Menge irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Er war von ihnen getrennt worden, als der Mob über sie hergefallen war, aber er kannte den Weg. Er war am Samstag mit Gough dort gewesen und hatte die meisten Gefangenen in einem herzergreifenden emotionalen Zustand vorgefunden. Viele hatten jahrelang als Soldaten gedient und sich in harten Kämpfen unter der Führung britischer Offiziere Medaillen verdient. Sie hatten gejammert und geweint und die Offiziere angefleht, sie vor diesem Schicksal zu bewahren – ein Schicksal, das für diese Männer schlimmer war als die Todesstrafe.
    »Diese ganze Sache hätte vermieden werden können«, hatte Gough später zu ihm gesagt, »wenn Carmichael-Smyth sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, die Männer vor der Aushändigung der Patronen noch eine Parade exerzieren zu lassen. Er hätte sie ihnen am Abend zuvor geben können, so wie es immer gehandhabt wird. Diese Parade hat sie misstrauisch gemacht. Und, wie du vielleicht gehört hast, ist Smyth ihnen ohnehin nicht sehr sympathisch.«
    Collier hatte bei dieser Untertreibung verächtlich geschnaubt. Dann hatten sie sich zum Abendessen begeben. Obwohl sie davon wussten und diese Sache für sich behielten, hatten sie trotzdem gehofft, dass gesunder Menschenverstand und Besonnenheit überwiegen würden.
    »Hast du übrigens dieses Mädchen geheiratet?«, hatte Gough ihn gefragt, als würden solche Dinge andere schreckliche Themen wie ein Talisman fernhalten. »Dieses Mädchen, das auf ihrem Weg nach Lahore mit ihrem Vater hier war? Wie war noch ihr Name? Alice? Nein, nein, sie hieß …«
    »Oliva«, hatte Collier eingeworfen.
    »Ja, Olivia! Und, hast du sie geheiratet?«
    »Nein.«
    »Immer noch der alte, eingefleischte Junggeselle, was, Captain Harrison?«, hatte Gough gewitzelt und ihm einen schmerzhaften Stoß mit der Spitze seines Helms in den Unterarm versetzt.
    »Wohl kaum«, hatte Collier rasch geantwortet und sich den Arm gerieben. Die Geheimhaltung seiner Ehe schien ihm in dieser brisanten Situation eher belanglos zu sein. »Ich habe vor Kurzem eine sehr bemerkenswerte Frau geheiratet, Hugh.«
    »Tatsächlich?«
    »Sie heißt Roxane«, hatte er verraten und dabei dümmlich gegrinst.
    Jetzt, umgeben von dieser Nacht der Gewalttaten, nahm er sich Zeit, um an sie zu denken und an die kleinen Details, die ihm an ihr so sehr gefielen. Hastig sprach er ein Gebet für sie. Dann erhob er sich aus dem feuchten Gras und verdrängte die Gedanken an sie. Von jetzt an konnte er es sich eine Weile nicht mehr leisten, an sie zu denken.
    * * *
    Captain Craigie, einem Offizier, der bei seinen Männern sehr beliebt war, war es schließlich gelungen, fünfzig Sowars dazu zu überreden, zum Gefängnis zu reiten. Lieutenant Mackenzie und Lieutenant Melville-Clarke, der Mackenzie dabei geholfen hatte, den Mann zu erledigen, der auf die tote Frau in der Kutsche eingestochen hatte, waren unter ihnen. Als es Collier endlich gelungen war, so nah an die Truppe heranzukommen, dass er sich bemerkbar machen konnte, ritt er auf seinem weißen Hengst in ihre Mitte. Auf den Straßen drängten sich erregte Einheimische; sie riefen, schrien und brachen in Begeisterungsstürme aus, als sich die Männer näherten, da sie sie im Dunkeln fälschlicherweise für eine weitere Gruppe der Aufständischen hielten. Sie drängten schneller voran, als sie sich dem Gefängnis näherten, wo schon etliche Menschen im fahlen Schein der Fackeln versammelt waren. Collier sah zu Mackenzie hinüber, der mit Blut und Staub verschmiert war. Er war, wie er Collier zugerufen hatte, ein paar Minuten zuvor vom Pferd gestürzt, hatte sich aber ohne weitere Schwierigkeiten wieder in den Sattel schwingen können. Das Blut könne seines oder das eines anderen Mannes sein, wie er mit grausigem Humor bemerkt hatte.
    Sie kamen zu spät, denn die Gefangenen wurden bereits von Hufschmieden befreit, die ihnen die Eisenfesseln abnahmen. Der Gefängniswärter, ein Angehöriger der Native Infantry, beantwortete Colliers Fragen, aber sie

Weitere Kostenlose Bücher