Palast der Stürme
leichten Kuss auf den Hals, direkt auf die Stelle unter ihrem Ohr.
»Falls der Aufstand Kalkutta vor uns erreicht, wird es müßig sein, darüber zu diskutieren.«
»Falls wir es schaffen«, gab Roxane zu bedenken.
»Das werden wir. Wir müssen. Ich habe einen Plan für uns drei, und ich …«
Roxane legte ihm ihre Finger auf die Lippen und drehte den Kopf, als sie hörte, dass Sera sich auf der Matte umdrehte. Das Mädchen wachte jedoch nicht auf. Sie hob Colliers linke Hand an den Mund und küsste seine Fingerknöchel.
»Was ist mit deiner Stellung hier? Wir sind weit entfernt von Kalkutta, und der direkte Weg dorthin ist am gefährlichsten. Daher wird es eine Weile dauern, bis du wieder zurückkehrst. Wird man dir dann nicht vorwerfen, du hättest unerlaubt deinen Posten verlassen?«
Collier schwieg eine Weile und atmete tief und regelmäßig ein und aus. Falls ihn beunruhigte, was er dann sagte, ließ er es sich nicht anmerken.
»Das habe ich bereits getan, Roxane, als ich auf der Suche nach dir hierhergekommen bin und nicht den Offizieren gefolgt bin, die sich zurückgezogen haben, um sich zu beraten«, flüsterte er.
Roxane biss sich auf die Unterlippe. Die Sonne schimmerte am Horizont wie Wasser in einer überfließenden Zinnschale. Die Flügel der Tauben färbten sich bereits feuerrot. Schon bald würde der kurze Aufenthalt am Fenster vorüber sein. Roxanes Puls beschleunigte sich, und sie blinzelte, um ihre Tränen zurückzuhalten.
»Und was ist mit deiner Ehre, Collier?«, fragte sie. »Wir haben oft darüber gesprochen, das weißt du.«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern, drehte sie zu sich herum und half ihr von der breiten Fensterbrüstung aus Stein. Sie richtete sich auf und hielt das rutschende Laken fest. Mit gesenktem Kopf verknotete sie die Enden über ihrer Brust und unter einem Arm. Er hob sanft ihr Kinn an, sodass sie gezwungen war, sein ernstes Gesicht zu betrachten. Seine Augen glühten im Morgenlicht wie Flammen hinter Rauchglas.
»Meine Ehre und meine Liebe stehen vor mir«, erklärte er. »Und nichts kann wichtiger sein … Ganz ruhig, nun wein doch nicht deswegen.« Er wischte ihr die Tränen von den Wangen und zog das sorgfältig verknotete Bettlaken an den Ecken zurecht.
»Erinnerst du dich an den Tag, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen haben?«, fuhr er mit rauer, leiser Stimme fort. »Tatsächlich?«, neckte er sie, als sie lächelnd nickte. »Ich wusste bereits an diesem Tag, dass ich dich liebe, Roxane.«
»Nein, das kann nicht sein«, widersprach sie ihm nur halbherzig.
»Doch«, beharrte er und grinste ein wenig schief. »Und als wir uns zum zweiten Mal trafen, wusste ich, dass wir heiraten würden, falls du mich zum Mann nehmen würdest. Ich habe noch nie in meinem Leben etwas so sicher gewusst. Nenn mich einen Narren, wenn du willst.«
»Oh.« Roxane drückte ihre Stirn gegen seine Brust und spürte sein Herz unter seinen Muskeln pochen. »Ich glaube nicht, dass ich das tun werde. Schließlich bin ich deine Frau, also kannst du dich nicht wirklich dumm verhalten haben.«
Er brummte seine Zustimmung, zog sie an sich und streichelte ihr den Rücken. Roxane hob die Hand und legte sie auf seine gekräuselten Brusthaare. Sie nahm einige davon zwischen Daumen und Zeigefinger und zog sie glatt, wobei sie sich wunderte, wie weich und geschmeidig sie sich anfühlten – beinahe so wie der zarte Flaum auf dem Kopf eines Babys.
»Collier …«
»Hmm?«
Sie schloss die Augen. Noch nicht, befahl ihr ihre innere Stimme. Warte noch.
»Ich liebe dich, Collier.«
Er lächelte auf sie herab und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel, wie er es immer tat, wenn ihn seine Gefühle für sie übermannten.
»Ich werde mir dieser Tatsache immer bewusst sein, Roxane Harrison«, erwiderte er.
In dieser Nacht packte Roxane den Reisevorrat ein, den Collier und Ahmed ihr gegeben hatten. Sera saß auf einer Stuhlkante, ließ ihre dünnen Beinchen über dem Teppich baumeln und beobachtete schweigend ihre Vorbereitungen. Roxane hatte ihr in einfachen Worten erklärt, wohin sie gehen würden und dass sie nicht zu viele Fragen stellen dürfe. Von diesem Moment an hatte Sera kein Wort mehr gesagt. Wahrscheinlich befürchtete sie, dass all ihre Fragen herausströmen würden, sobald sie den Mund öffnete, und schwieg deshalb.
Außerhalb der Stadtmauern würde es schwierig werden, etwas zu essen und zu trinken zu bekommen, aber da sie alles tragen mussten, durften die Pakete nicht
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