Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
Vom Netzwerk:
Signal nicht. In dem Flussbett unter ihr blieb alles still. Roxane konnte schließlich den Atem nicht mehr anhalten und holte in flachen Zügen Luft. Auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen, und ihre Handflächen wurden feucht. Die Männer waren knappe fünf Meter von ihr entfernt stehen geblieben und schäkerten mit der Frau.
    Roxanes Arme begannen zu zittern, da fast ihr ganzes Körpergewicht auf ihnen lastete. Ein Sturz wäre wahrscheinlich nicht tödlich, aber ihre Entdeckung wäre es zweifellos. Einer plötzlichen Eingebung folgend, klammerte sie sich so fest sie konnte mit den gekrümmten Fingern einer Hand an die Mauer. Mit der anderen hob sie einen Stein auf und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die Straße, wobei sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Sie hörte, wie der Stein auf das Kopfsteinpflaster prallte, über die Straße schlitterte und in einiger Entfernung mit einem klingenden Geräusch gegen einen metallischen Gegenstand schlug. Die Neugierde der Männer hielt sich in Grenzen, aber nichtsdestotrotz gingen sie in diese Richtung weiter und zogen ihre Begleiterin mit sich. Roxane wartete nicht länger und kletterte hastig nach unten. Colliers Hände griffen in dem Moment nach ihr, als ihre Arme erschlafften. Er half ihr, sich neben Sera zu setzen, bevor sie sich eine Weile ausruhten.
    Collier beugte sich zu ihr hinüber. »Nur gut, dass diese Männer betrunken waren und nicht auf die Mauer geschaut haben«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Bevor du den Stein geworfen hast, konnte ich im Sternenlicht deinen Arm besser sehen als jetzt. Aber das hast du großartig gemacht, Liebling.«
    Roxane nickte wortlos und rang immer noch nach Luft. Die Ruhepause war bald vorbei – Collier drängte darauf weiterzugehen. »Pass mit den Steinen auf. Sie rollen leicht davon, und das macht großen Lärm.«
    Roxane nickte wieder. Sera hatte ihre dünnen Beinchen um Colliers Hüfte gelegt und ihre Arme um seinen Nacken geschlungen. Der Marsch durch das trockene Flussbett war beschwerlich, und sie kamen nur langsam voran. Sie schienen stundenlang in dem Graben zu laufen und blieben bei jedem Geräusch stehen, bis sie endlich an eine Stelle gelangten, an der Collier zuerst Roxane und Sera nach oben half, bevor er selbst hinterherkletterte.
    Roxane wandte sich Collier zu und lächelte ihn an. Sie beugte sich vor und drückte ihr Kinn an seinen Hals. »Mein Herz wird nie wieder langsamer schlagen als jetzt«, flüsterte sie.
    Er erwiderte ihr Lächeln. Seine Zähne blitzten weiß in seinem sonnenverbrannten Gesicht. Er legte ihr den Arm um die Schultern und drückte ihr lautlos einen Kuss auf die Schläfe. Dann hob er Sera wieder hoch und setzte sie auf seine Hüfte, nahm Roxane an der Hand und führte sie unter dem Sternenhimmel und dem sichelförmigen Mond von der Stadt Delhi weg.

22
    August 1857
    Roxanne starrte in den strömenden Regen, der im Wind wie ein silbernes Seidentuch hin- und herwogte. Sie konnte kaum vier Meter weit schauen. Das Wasser fiel mit einem beständigen Zischen auf die Erde, nur dort, wo es auf die schmierige Plane über dem Ochsenkarren prallte, klang es, als würde es in ein hohles Fass prasseln. Alle anderen Geräusche waren ausgeblendet. Sie konnte nicht einmal hören, wie sich die Räder des Karrens schmatzend in dem knöcheltiefen Schlamm drehten. Falls der Ochse stöhnte, nahm sie das auch nicht wahr. Und wenn die Straße so nah am Fluss vor ihnen weggespült war, würde sie es erst merken, wenn sie darin schwämmen.
    Aber sie konnte nicht heute schon wieder eine Pause einlegen. Bevor Collier erneut in ein Fieberdelirium gefallen war, hatte er ihr versprochen, dass sie nicht mehr weit von Kalkutta entfernt waren. Irgendwo in der durchnässten Landschaft hatte er einen vertrauten Anhaltspunkt gesehen. Oder zumindest hatte er das geglaubt. Sie wusste nicht, ob es nicht nur an der Malaria gelegen hatte, und wollte auch nicht weiter darüber nachdenken. Nach so langer Zeit mussten sie einfach bald ihr Ziel erreichen. Das Chinin, das sie aus den verbrannten Trümmern des Hauses ihres Vaters gerettet hatte, war aufgebraucht, und Colliers Fieber wurde immer schlimmer. Sie hatten kein Chinin mehr, nichts zu essen, was bei diesem Wetter nicht sofort verschimmelte, und keine saubere, trockene Kleidung. Das Einzige, was ihnen reichlich zur Verfügung stand, war frisches Wasser, da sie ständig den Regen in einem Eimer auffingen, der an der Seite des Karrens befestigt war.
    Als der Ochse stolperte,

Weitere Kostenlose Bücher