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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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trug sie so, wie es bisher Collier getan hatte. In schweigendem Einverständnis wurde er in die kleine Gruppe der Flüchtlinge aufgenommen. Vor allem für Sera war das sehr tröstlich, denn er war alles, was ihr von dem einzigen Heim, das sie gekannt hatte, übrig geblieben war.
    Roxane lächelte, und der Regen lief ihr in den Mund. Sera. Die kleine Sera war so tapfer wie ein Soldat. Dünner zwar, aber sie war bisher gesund geblieben und hatte ihr fröhliches Gemüt nicht verloren.
    Als sie einen Blick auf ihre Arme warf, wo die Farbe mittlerweile fast ganz verschwunden war, stellte sie fest, dass auch sie trotz aller Vorsichtsmaßnahmen an Gewicht verloren hatte. Sie konnte es nicht ändern. Es gab einfach nicht genug zu essen für sie – geschweige denn für zwei.
    Kurz nachdem sie Delhi verlassen hatten, hatte sie sich beinahe jeden Morgen übergeben müssen. Die Übelkeit hatte wochenlang angehalten, und Collier war sehr besorgt gewesen. Sie hatte ihm versichert, dass es ihr gut gehe, und schließlich hatte sie es überwunden. Collier war so mit der Situation beschäftigt gewesen, dass er nicht weiter nachgefragt hatte, und sie hatte es ihm nicht erklärt. Es gab zu vieles, worüber er sich Gedanken machen musste, dass sie ihn nicht zusätzlich mit ihrer Schwangerschaft belasten wollte. Govind hatte jedoch sofort bemerkt, dass sie ein Kind in sich trug, und oft sparte er etwas von seiner Mahlzeit für sie auf. Er aß immer noch allein und brachte ihr dann heimlich den Rest, wenn Collier anderweitig beschäftigt war. Roxane teilte dann die kleine Portion wiederum mit Sera.
    In dem engen Innenraum des Wagens begann Collier wieder, einen abgehackten Wortschwall auszustoßen. Govind versuchte, ihn mit leiser Stimme zu beruhigen, damit er Sera nicht aufweckte.
    Roxane schloss die Augen und betete stumm. Bitte, lieber Gott, bitte erlöse uns bald.
    Es brach unerwartet über sie herein, so wie Roxane es vermutet hatte. Das donnernde Tosen hörte sie erst, als es bereits zu spät war. Der Ochse hatte gemächlich einen Huf auf eine Stelle gesetzt, die unverdächtig wirkte, und war dann in die Knie gegangen, als sich unter ihm ein Loch auftat. Er riss den Kopf hoch, stürzte mit der Brust voraus in das rauschende Wasser und zog den Karren mit sich. Roxane wurde von ihrem Sitz geschleudert und wäre unter den Wagen gezogen worden, wenn Govind nicht rasch seine Hand ausgestreckt und sie am Nacken gepackt und nach oben gezogen hätte. Sie war tropfnass und spuckte keuchend Wasser aus. Der Ochse strampelte und riss den Karren auf die Seite, sodass Collier mitsamt der Pritsche umkippte. Sera hielt sich verzweifelt an dem umgestürzten Bett fest. Wasser drang durch die Latten in den Wagen und spülte den Rest ihrer Vorräte in Sekundenschnelle in den angeschwollenen Flussarm. Roxane griff nach dem Schwert ihres Vaters, aber sie konnte es nicht festhalten, und es sank sofort in die Tiefe.
    »Wir müssen das Tier befreien, bevor es den Wagen ganz umkippt«, schrie Govind, um sich im Tosen der Wassermassen verständlich zu machen.
    »Wie?«, rief sie zurück, bereit, seinen Anweisungen zu folgen. Möglicherweise würde der Karren eine Weile schwimmen, aber nicht, solange das rasende Tier angeschirrt war.
    »Ich erledige das.« Er kletterte über sie hinweg auf die gefährlich schwankenden Holzplanken. Roxane bahnte sich den Weg in das Innere des Wagens und kroch zu Collier, um ihn von seinen Fesseln zu befreien. Ihre nassen Finger zitterten so sehr, dass ihr die Knoten immer wieder entglitten.
    »Hilf mir, Sera«, befahl sie.
    Das kleine Mädchen ließ das Bett los, an das es sich in seiner Panik geklammert hatte, um seiner Schwester zu helfen. Draußen ging das Brüllen des Ochsen beinahe in dem Rauschen der Fluten unter.
    »Wird Govind etwas zustoßen?«, fragte Sera, während sie an den Knoten zerrte.
    Roxane gab keine Antwort. Sie wusste es nicht. Als Collier durch das kalte Wasser geweckt wurde und sich hin- und herwarf, versuchte sie, die Stoffbänder mit den Zähnen zu lösen. Der Karren schaukelte, tauchte ins Wasser ein und richtete sich wieder auf. Die Gischt spritzte ihr ins Gesicht und vermischte sich mit Tränen der Verzweiflung. Sie hatte alles gegeben – wie die anderen auch –, und nur, damit sie jetzt ertrinken würden? War das etwa die Erlösung, für die sie gebetet hatte?
    Der Stoff zerriss zwischen ihren Schneidezähnen, und Colliers zuckende Gliedmaßen waren endlich befreit. Er fiel mit dem Gesicht auf den

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