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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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Überlebende war. Sie ging erst in die eine und dann in die andere Richtung, bevor sie wieder zu der Straße zurückkehrte, wo sie ihre Suche begonnen hatte. Schon bald würde es dunkel sein, und die Aasfresser und nachtaktiven Räuber würden sich hervorwagen. Obwohl sie sich vor ihnen nicht gefürchtet hatte, solange Collier und Govind an ihrer Seite gewesen waren, war sie sich darüber im Klaren, in welcher Gefahr sie sich jetzt befand.
    Plötzlich kam ein Klagelaut aus ihrem tiefsten Innern über ihre Lippen, primitiv und traurig, und hallte in dem vergehenden Tag wider. Falls Sera überlebt hatte, falls Sera noch am Leben war, dann war sie jetzt auch allein.
    Collier, rief sie stumm. Wo bist du? Sie schloss ihre Augen und versuchte, ihn zu fühlen, so wie sie es getan hatte, als sie geglaubt hatte, sterben zu müssen, aber sie spürte nichts. Und Govind, der arme Govind, war er ebenfalls ums Leben gekommen? Wenn er tot war, dann hatte er sein Leben für eine ehrenwerte Pflicht hingegeben, und seine Seele würde darunter hoffentlich nicht leiden.
    Roxane hob ihr Gesicht dem kleinen Sonnenfleck entgegen und beobachtete, wie er von einer grauen Wolke verschluckt wurde. Sie setzte sich, zog ihre Beine an und schlang die Arme um ihre Knie. Natürlich konnte sie diesen Ort nicht verlassen. Wie konnte sie von hier weggehen, wenn sie nicht wusste, was mit den anderen geschehen war? Wie konnte sie sich auf den Weg machen, wenn sie die anderen vielleicht hier zurückließ?
    Als es Nacht wurde, saß sie immer noch auf dem gleichen Fleck. In der Dunkelheit um sie herum nahm sie Geräusche, Gerüche und Bewegungen wahr. Zwei streunende Hunde kamen an den Fluss, um zu trinken, und später folgten ihnen einige andere Tiere, die sie nicht erkannte. Sie schienen ihre Gegenwart jedoch nicht zu bemerken, oder ihr Geruch schien sie nicht in Alarmbereitschaft zu versetzen. Sie lauschte vergeblich die ganze einsame Nacht lang auf Geräusche von menschlichen Wesen. In den frühen Morgenstunden schlief sie schließlich ein. Sobald es hell wurde, war sie wieder wach und ging zum Fluss hinunter, um sich den Schlamm aus den Kleidern, den Haaren und von der Haut zu waschen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so allein gefühlt, aber sie war weder ängstlich noch unentschlossen. Sie wusste jetzt genau, was sie zu tun hatte. Hier am Wasser zu bleiben war falsch. Die anderen waren tot, und sie musste nach Kalkutta weiterziehen. Sie kannte den Weg, und sie war nur noch einen halben Tagesmarsch von der Stadt entfernt.
    Roxane hatte ihre Schuhe verloren und machte sich nun barfuß auf die Reise, wobei sie ihre Hände über der kleinen Wölbung ihres Bauchs verschränkte. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie mit einem Mal unsicher wurde, stehen blieb und einen Blick zurückwarf. Hatte sie jemanden ihren Namen rufen hören? War das nicht …? Nein, es war nur eine der schwarzen Enten gewesen, die sich vom Wasser in die Luft schwangen. Sie beobachtete, wie der Vogel seine Flügel ausbreitete und über ihren Kopf hinwegflatterte, bevor sie wieder auf den Fluss starrte. Als sie einen Schritt nach vorn ging, glaubte sie, etwas zu sehen, was sich gegen den Strom bewegte. Sicher nur ein Trugbild …
    Sie hielt den Atem an und ging zögernd ein paar Schritte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Verunsichert starrte sie in die graue Morgendämmerung, durch die kein Sonnenstrahl drang. Hinter sich hörte sie ein dumpfes Donnern. Irgendetwas auf dem Baumstamm hatte sich bewegt, war heruntergeglitten und kletterte nun auf die Uferbank. Die Gestalt hob etwas Kleineres hoch und stellte es aufrecht in den Schlamm. Eine weitere Gestalt folgte und wurde von der ersten auf trockeneren Untergrund gezogen. Dann wandte sich die erste Person wieder dem kleinen Kind zu und half ihm ein paar Schritte weiter. Der zweite Mann rappelte sich auf seine Knie. Er war sicher früher einmal größer und kräftiger als der erste gewesen, aber jetzt wäre er ohne dessen Hilfe kopfüber im Schlamm gelandet. Der ehemalige Soldat der bengalischen Armee hob den Kopf und sah seinen Retter verwirrt und dann dankbar an, bevor er ohnmächtig wurde.
    Roxane wiegte Colliers Kopf in ihrem Schoß und strich ihm das feuchte Haar aus der blassen Stirn. Als Govind und Sera näher kamen, lächelte sie unter Tränen der Erleichterung und zog Sera in ihre Arme. Dann warf sie Govind einen langen, dankbaren Blick zu.
    »Vielen Dank«, sagte sie.
    Er zuckte die Schultern, eine

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