Palast der Stürme
Boden des Karrens und stieß dabei Sera in Roxanes Schoß. Keuchend rappelte er sich auf die Knie. Als Roxane ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter legte, wirbelte er herum, stieß sie von sich und fuhr mit den Armen durch die Luft.
Dann hielt er inne und sah Roxane mit erstaunlich klarem Verstand an.
»Was um alles in der Welt geht hier vor?«, rief er laut.
Roxane schüttelte den Kopf. Sie war so erleichtert, dass sie tatsächlich lachte, als sie ihm antwortete. Wie sie erkennen konnte, deutete er ihr Lachen als Zeichen einer Hysterie.
»Wir sind im Fluss gelandet, Collier. Oder in einem Teil davon. Govind versucht gerade, den Ochsen zu befreien, bevor er den Karren zum Kentern bringt.«
»Ach ja?« Collier richtete sich auf schob sich an ihr vorbei, doch er war noch zu schwach und fiel wieder auf die Knie. Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Mahnung zurückzuhalten, dass er an seine eigene Sicherheit denken sollte, und ließ ihn in Ruhe.
»Sera, vielleicht müssen wir den Wagen bald verlassen, falls er untergeht. Kannst du schwimmen? Nein? Ich … ich glaube, ich kann schwimmen. Zumindest erinnere ich mich daran, wie ich mich, als ich in deinem Alter war, in Unterwäsche zum See geschlichen habe, um dort zu schwimmen. Seitdem allerdings nicht mehr. Wir werden es zusammen schaffen. Doch wir brauchen etwas, was schwimmt, damit wir uns daran festhalten können. Hier, diese Kiste ist gut dafür geeignet. Bring sie hierher. Ja, ja, das wird gehen …«
Roxane spähte unter der schwankenden Plane hinaus auf Govind und Collier, die beide im Wasser versuchten, das Geschirr von dem tobenden Ochsen zu entfernen. Der Fluss war weiter angeschwollen und machte es schwierig, das Gurtzeug zu fassen. Collier rief dem Gärtner etwas zu, woraufhin dieser den Kopf schüttelte. Die Diskussion ging einige Sekunden weiter, während das Wasser den Karren, das Tier und die Menschen weiter vorantrieb. Die schwankenden Planken waren mittlerweile von Geröll bedeckt. Roxane griff nach Seras Hand und zog das Mädchen zu sich heran.
Collier und Govind hatten Mühe, sich über Wasser zu halten, und warfen einen kurzen Blick zurück auf Roxane und Sera, die sich auf dem vorderen Teil des Wagens zusammengekauert hatten. Anscheinend hatten sich die Männer geeinigt, aber Roxane konnte Collier nicht verstehen – seine Rufe wurden von den tosenden Wogen davongetragen. Nach einer Weile machte er sich auf den Weg zurück zu ihr und hangelte sich mühsam, eine Hand vor die andere legend, auf der Deichsel nach oben. Der Ochse ließ sich erschöpft treiben und atmete heftig, während Govind versuchte, den riesigen Kopf des Tiers aus den schlammigen Fluten zu halten.
Roxane beugte sich vor, um nach Colliers ausgestreckter Hand zu greifen, als sie plötzlich erstarrte.
»Oh mein Gott«, keuchte sie.
Collier folgte ihrem Blick, um zu sehen, was die Ursache für ihre entsetzte Miene war. In dem düsteren Licht ragte ein riesiger Baum aus dem Wasser. An dem gewaltigen Wurzelballen hingen noch die feuchten Erdklumpen, die er vom Ufer in den Fluss gezogen hatte. Govind hatte ihn auch entdeckt und versuchte, sich aus der Reichweite des Ochsens zu bringen, der seinen Kopf wie rasend hin- und herwarf. Er konnte es nicht verhindern, dass das Tier weiter gegen die reißenden Fluten ankämpfte und dabei mit all seiner Kraft seinen Kopf herumriss und den Karren mit sich zog. Die Deichsel drehte sich, und das Geschirr zerrte an dem Wagen, schwang ihn wie einen Kreisel herum und steuerte ihn dann direkt in die Richtung, wo der Baum mit seinem gigantischen Wurzelwerk wie ein offener Schlund aufragte. Collier wurde mitgerissen und trieb inmitten von Trümmern auf den Wellen. Es blieb keine Zeit, um andere Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Roxane war bewusst, dass der Wagen in tausend Stücke zersplittern würde, wenn er gegen den Baum prallte. Falls sie und Sera das überleben würden, würde die Plane auf sie herabfallen und sie unter Wasser drücken, und sie würden ertrinken. Sie stellte sich aufrecht auf die schwankende Kante des Wagens, nahm ihre Schwester an die Hand und sprang.
Roxane hatte nicht damit gerechnet, dass das Wasser so kalt war. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass es sich nicht allzu sehr von dem Regenwasser unterscheiden würde, das so lauwarm wie Badewasser war. Verglichen mit ihrer Körpertemperatur war es jedoch eiskalt. Sie dachte kurz an das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, und war davon überzeugt, dass es
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