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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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Bekanntschaft berücksichtigt. Wie definieren Sie Schurke? Ist das ein Lump?«
    »Zweifellos.«
    »Ein Gauner?«
    »Natürlich.«
    »Ein Mann ohne Ehre und Prinzipien?«
    »So steht es in den Wörterbüchern«, meinte Roxane.
    »Und Sie glauben das auch? Was denken Sie denn? Bin ich ein Mann ohne Ehre und Prinzipien?«
    Obwohl der Raum voller Menschen war, kam es ihr vor, als wären sie allein. Roxane spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann und gegen ihren Brustkorb klopfte. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Sein Atem und seine Stimme waren wie eine zärtliche Berührung auf ihrer Haut, wie eine federleichte Liebkosung ihrer Wange, ihrer Kehle, den bloßen Rundungen ihrer Schultern und dem Ansatz ihrer Brüste über ihrem Mieder. Sie warf einen flüchtigen Blick in die Runde. Niemand schien Notiz von ihnen, seinen Zärtlichkeiten und ihrer Reaktion darauf, zu nehmen. Auch ihre Unterhaltung blieb unbeachtet.
    Sie neigte den Kopf leicht in seine Richtung und betrachtete sein schwarzes Haar, die sanfte Linie seiner Augenbrauen und seine blaugrauen Augen.
    »Captain Harrison«, begann sie. »Ich kann nicht darüber urteilen, ob Sie ein Ehrenmann sind oder nicht. Aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch, dass Sie kein Mann von Prinzipien sind.«
    »Wie darf ich das verstehen?«
    Sie wandte sich ihm noch weiter zu, bis sie entsetzt feststellte, dass ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war.
    »Bitte verlangen Sie nicht von mir, dass ich Sie an ein Vorkommnis erinnere, das meiner Meinung nach für uns beide peinlich ist.«
    »Meinen Sie damit etwa, dass wir uns geküsst haben?«
    »Dass Sie mich geküsst haben!«, zischte Roxane scharf.
    »Also gut. Ich habe Sie geküsst. Und lassen Sie mich versichern, dass diese Handlung, ohne die Auswirkungen zu berücksichtigen, in keiner Weise peinlich für mich war, sondern eine Quelle unschätzbaren Vergnügens war und ist.«
    Roxane atmete heftig. »Haben Sie denn keinen Funken Anstand?«, fuhr sie ihn an.
    »Oh doch, Miss Sheffield«, erwiderte Captain Harrison lächelnd. »Ich bin ein sehr anständiger Kerl.«
    Roxane drehte sich rasch von ihm weg, packte Messer und Gabel und stürzte sich wieder auf den Pfau. Miss Peabody versuchte mit quäkender Stimme die Aufmerksamkeit des Captains wegen einer unbedeutenden Sache auf sich zu ziehen. Und Grovsner wandte sich an Roxane.
    »Würden Sie mir Ihre Anspielung auf Schurken erklären, Miss Sheffield? Ich bin sicher, dass ich Sie missverstanden habe.«
    Captain Harrison neben ihr hielt es für angebracht, laut loszulachen.

4
    Roxane starrte durch das offene Fenster auf die Szene männlicher Beschaulichkeit. In dem goldenen Schein der Kerzen, der bis zu der dornigen, blühenden Rosenhecke reichte, hatten sich die Offiziere in ihren verschiedenen Uniformen versammelt, um zu rauchen und zu plaudern. Man konnte den Standpunkt jedes Mannes am brennenden Ende seiner Zigarre ausmachen; sie leuchtete auf, bevor der Rauch den Kopf verhüllte, und glühte dann schwach in der Hand. Das Kerzenlicht spiegelte sich in den Gläsern mit feinem Brandy und den polierten Uniformknöpfen wider.
    Er stand ein wenig abseits von den anderen, beobachtete und hörte zu, entspannt und doch aufmerksam, wie es offensichtlich seine Art war. Selbst wenn er sich zu Wort meldete, strebte er nicht danach, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, sondern trug nur etwas zur Konversation bei und zog sich dann wieder zurück. Nur wenn er sie ansprach, schien er anders vorzugehen. Er provozierte sie ganz bewusst, aber nicht auf eine gemeine Weise … Oder war ihre Reaktion auf seine Art, sich mit ihr zu unterhalten, nur der Ausdruck ihrer eigenen Unsicherheit?
    »Roxane, meine Liebe, reißen Sie sich vom Fenster los und spielen Sie uns etwas auf dem Piano vor.«
    Roxane wandte sich um und blinzelte in den hell erleuchteten Raum.
    »Pardon? Oh, ist Unity schon fertig? Es tut mir leid, Mrs Stanton. Was soll ich spielen?«
    »Was Sie möchten, meine Liebe«, erwiderte Mrs Stanton.
    Roxane ging zum Piano hinüber, setzte sich und strich ihren Rock glatt. Ihre Hände fühlten sich erstaunlich kalt an, und sie rieb sie aneinander, um sie zu wärmen. Dann betrachtete sie das Piano und dachte an die langen Wochen auf See und die Monate vorher, in denen sie sich hektisch auf die Reise vorbereitet und ihr eigenes Instrument kaum angerührt hatte. Nervös überlegte sie, was sie spielen sollte. Es war dumm, sich Sorgen zu machen, denn sie

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