Palast der Stürme
wusste, dass sie ihre Fähigkeiten nicht komplett verloren hatte, nur weil sie eine Zeit lang nicht hatte üben können. Aber in diesem Raum befand sich eine spezielle Person, vor der sie keine Fehler machen wollte. Außerdem war ihr bewusst, dass die Männer vor dem Fenster sie ebenfalls hören würden.
Sie atmete tief durch und legte ihre Finger auf die Tasten. Als sie die ersten Töne einer herrlich leichten Melodie von Händel spielte, hörte sie Gemurmel, gefolgt von unmittelbarem Gelächter, das rasch erstickt wurde. Roxane unterbrach ihr Spiel.
»Oh, ich bitte um Verzeihung, Miss Sheffield«, sagte Rose Peabody. »Habe ich Sie gestört? Bitte spielen Sie doch weiter.«
Roxane knirschte unhörbar mit den Zähnen und spielte weiter. Ihre Finger waren steif vor Zorn, sodass die Melodie gestelzt und falsch klang, so als würde man versuchen, einem verstimmten Instrument richtige Töne zu entlocken. Als sie geendet hatte, klatschten die Damen, vielleicht ein wenig zu höflich. Roxane spielte ein anderes Stück, eine der Lieblingsmelodien ihrer Mutter, und erwärmte sich sofort dafür. Weitere Unhöflichkeiten von Mrs Peabody konnten sie nicht mehr ablenken. Beim dritten und letzten Abschnitt erhob sich Unity und sang mit süßer, klarer Stimme mit. Zu Roxanes Überraschung umarmte das Mädchen sie dann leidenschaftlich.
»Das war wundervoll«, rief Unity. »Ich spiele nicht annähernd so gut wie Sie, und dieses Lied kann ich gar nicht spielen. Aber ich höre es sehr gern. Vielen Dank.«
Verwirrt befreite sich Roxane aus der Umarmung des Mädchens und sagte ihm, dass sie sich freue, wenn es ihm gefallen habe. »Du hast eine hübsche Stimme, Unity, und solltest öfter singen.«
Mrs Peabody und ihre jüngere Tochter Anastasia, die nicht so üppig war wie ihre Schwester und einen rosigeren Teint hatte, stimmten ihr zu.
»Ich frage mich, ob dein Vater dich singen gehört hat, Unity«, meldete sich Augusta vom Kanapee. »Es hätte ihm sicher sehr gefallen.«
»Glaubst du wirklich?« Unity wandte sich ihrer Mutter zu.
»Natürlich.«
»Ich bin mir sicher, dass der Colonel und alle anderen Männer auf der Veranda das Lied gehört haben«, meinte Rose.
Unitys Wangen röteten sich vor Freude. Als Roxane von Unity zu Miss Peabody hinüberschaute, stellte sie fest, dass diese ihren Blick nicht auf Unity, sondern auf sie gerichtet hatte.
»Wenn man ein bestimmtes Talent besitzt, gibt es keinen Grund, es nicht zu zeigen«, fuhr Rose fort. »Wir alle besitzen bestimmte Talente. Einige können wir in unserem Leben nützen, andere dienen nur zu Dekorationszwecken.«
Roxane runzelte die Stirn, und ihre grünen Augen wurden schmal. Sie stand auf. »Möchten Sie uns etwas vorspielen, Miss Peabody?«
»Nein danke«, lehnte Rose ab. »Darin bin ich nicht sehr gut. Meine Talente liegen in einem anderen Bereich.« Sie grinste breit.
Als Roxane sich umsah, bemerkte sie zwei Reaktionen darauf, die so unterschiedlich wie Tag und Nacht waren. Mrs Peabody betrachtete ihre älteste Tochter mit einem Ausdruck von selbstgefälligem Stolz, während das junge Mädchen neben ihr seine Schwester voll Entsetzen und Empörung anstarrte.
»Miss Anastasia?«, sagte Roxane schließlich. »Spielen Sie Klavier?«
Das blonde Mädchen wirbelte herum. Nun wirkte es sehr schüchtern.
»Oh nein, Miss Sheffield. Ich … oh nein.«
Augusta Stanton erhob sich von dem Sofa. »Nun, ich glaube, wir haben unseren Männern genügend Gelegenheit gegeben, über alles zu reden, worüber Männer beim Brandy sich so unterhalten. Lassen Sie uns auf die Veranda gehen.«
Augusta legte ihre Hand auf Mrs Peabodys Arm und ging voraus. Unity folgte ihr rasch, um herauszufinden, was ihr Vater von ihrem Gesang hielt, und Anastasia, die sich nicht allzu weit von ihrer Mutter entfernen wollte, eilte hinterher. Für einen Moment waren Roxane und Rose allein in dem Raum.
»Nach Ihnen, Miss Peabody«, sagte Roxane würdevoll.
»Warum gehen wir nicht zusammen?«, meinte Rose. Die junge Frau stand auf und schüttelte ihren Rock. Dann zupfte sie ihr Mieder so zurecht, dass ihr Dekolleté noch tiefere Einblicke gestattete, und strich sich über das Haar. Der Blick aus ihren blauen Augen wirkte durchtrieben.
»Ich nehme an, es macht Ihnen nichts aus«, sagte sie.
»Was meinen Sie damit?« Roxane zog die Augenbrauen hoch.
»Sie sind jetzt eine Neuheit, verstehen Sie? Und in gewisser Weise auch recht hübsch. Sie können sich aus dem Regiment aussuchen, wen Sie wollen,
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