Palast der Stürme
einen verheirateten oder unverheirateten Mann. Aber wenn der Reiz des Neuen verflogen ist, dann kommt die wahre Herausforderung, Miss Sheffield. Man muss andere Mittel und Listen finden, um sich sein Vergnügen zu sichern – und am Ende Sicherheit zu haben.«
Ohne Roxane die Gelegenheit einer Erwiderung zu geben, drehte sich Rose auf dem Absatz um und rauschte aus dem Raum, wobei sie eine Spur ihres starken, blumigen Parfums hinter sich herzog. Roxane starrte ihr eine volle Minute nach, den Blick auf das leere, rechteckige Fenster und die sich in der milden Nachtluft blähenden Chintzvorhänge geheftet. In dem bissigen Kommentar der Frau lag ein Quäntchen Wahrheit, wie sie fand. Eine unbequeme Wahrheit.
Gedankenverloren schloss Roxane den Deckel des Pianos und ließ ihre Hand über das polierte Holz gleiten. Als sie das Zimmer verließ, löschte ein Diener bereits die Lampen, damit nicht noch mehr geflügelte Insekten hereinkämen.
Auf der Veranda fiel ihr sofort Rose auf, die schon wieder Captain Harrisons Nähe suchte. Sie hatte sich bei ihm eingehängt und klammerte sich an den Ärmel seiner Uniformjacke. Ihr helles Haar schimmerte im Kerzenlicht beinahe weiß, und ihre Haut glänzte wie vergoldet – eine Figur aus Elfenbein und Gold. Sie wusste genau, wie sie sich zu bewegen hatte, wie sie ihren Kopf drehen musste, ihren Blick ausrichten, ihre Schultern neigen, um ihre »Talente« am besten hervorzuheben. Und Roxane hatte den Eindruck, dass Captain Harrison sich keine große Mühe gab, um sie von dieser Vorstellung abzuhalten.
»Ich habe mich schon gefragt, ob Sie sich noch zu uns gesellen.«
Als Roxane sich umdrehte, tauchte Captain Grovsner aus den Schatten zu ihrer Rechten auf. In einer Hand hielt er ein fast geleertes Brandyglas. Sie konnte den Alkohol riechen, aber das Gesicht des Mannes ließ darauf schließen, dass er wieder nüchtern war.
»Aber sicher«, erwiderte sie. »Die Nacht ist viel zu schön, um sie nicht zu genießen.«
»So wie Sie«, entgegnete er.
Roxane verzog ungeduldig das Gesicht, aber das schien der Captain nicht zu bemerken.
»Manche Frauen sind so leicht zu durchschauen«, fuhr er fort. »Während andere durch subtilen Charme bestechen.«
»Das stimmt.« Roxane begann das Interesse an dieser Unterhaltung zu verlieren und wandte sich ab. Er kam zu ihr herüber und stellte sich neben sie.
»Miss Peabody gehört zu Ersteren. Sehen Sie sich das nur an. Man weiß nicht so recht, ob man Harrison beneiden oder bedauern soll.«
Roxane starrte auf die andere Seite der Veranda. Der Anblick von Miss Peabodys Hand auf seinem Arm, ihrem blassen Gesicht an seinem Ohr und ihrer gepuderten Brust, die sich gefallsüchtig hob und senkte, machte sie wütend. Eine solch vulgäre Zurschaustellung war widerwärtig und unerträglich. Und Captain Harrisons lässiges, gleichgültiges Verhalten, so als wäre das alles völlig normal, war äußerst ärgerlich! Sie bedauerte ihn nicht. Oh nein, ganz und gar nicht! Und da sie eine Frau war, hatte sie auch keinen Grund, ihn zu beneiden. Im Augenblick wünschte sie sich nur, die beiden nicht mehr sehen zu müssen. Er benahm sich wie alle anderen Männer – so, wie ihr Vater sich ihrer Mutter gegenüber benommen hatte; wenn der Reiz des Neuen verflogen war, verschwand auch das Interesse, und wie bei ihrem Vater auch die Ansprüche auf Zuneigung und Liebe.
Als Grovsner ihr vorschlug, einen Spaziergang im Garten zu machen, um diesen obszönen Auftritt nicht länger mit ansehen zu müssen, hielt sie den Mann in diesem aufwühlenden Moment für einen sehr sensiblen Menschen und stimmte zu. Erst dann begriff sie, dass Collier Harrison solche Ansprüche nie gehabt hatte. Eifersucht hatte ihren Zorn hervorgerufen. Und diese Eifersucht hatte ihren Verstand vernebelt. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein Gefühl der Eifersucht verspürt, und selbst jetzt, während sie die Verandastufen hinunterstieg und den Garten betrat, wollte sie es nicht zulassen.
Die Pfade schimmerten silbrig im Mondlicht, und Schatten huschten kreuz und quer über die Erde und den Himmel und zeichneten scharfe Silhouetten. Jenseits des hellen Scheins des Mondes leuchteten unzählige Sterne. Zarter Duft drang gedämpft durch die geschlossenen Blüten in die Nachtluft. Roxanes Kleid raschelte in der leichten Brise. An ihrer Schulter hörte sie Captain Grovsner schwer atmen. Sie fragte sich, ob sie seinen Rauschzustand falsch eingeschätzt hatte oder ob er vielleicht krank war. Erst
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