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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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verließ und in die Nacht hinaustrat.
    Der Hauptpunkt seiner Unterhaltung mit Canning war die Gefahr für Frauen und Kinder im Fall von Unruhen gewesen. Im Gegensatz zu Lawrence, einem weiteren Mann, den er sehr bewunderte, war er nicht der Meinung, dass in Krisenzeiten Frauen außer Betracht bleiben sollten. Er verstand die Beweggründe für eine solche Aussage, aber er konnte ihr nicht zustimmen – das erlaubte ihm sein Gewissen nicht.
    Collier überquerte das Gelände und ging zu seinem Pferd, das in der Dunkelheit angebunden war. Es war nicht der Rotschimmel von seinem Einspänner, sondern ein arabisches Kavalleriepferd, das er bei einer Wette gewonnen hatte. Das Tier bewegte sich wie ein Geist im Schatten eines Feigenbaums und stampfte mit einem beschlagenen Huf auf die feste Erde. Das Klirren seines Zaumzeugs klang klar und melodisch durch die Nacht. Collier streichelte die weichen Nüstern des Pferdes und fuhr liebevoll mit den Fingern durch die cremefarbene Mähne. Er band das Tier los, stieg in den Sattel und richtete den Kopf des Hengstes auf den Maidan, den großen Park der Stadt. Die Nacht war dunkel und voll von milchweißen Sternen, die durch die Bäume schimmerten. Es sah so aus, als wären sie auf einer blauschwarzen Samtdecke verstreut worden. Die Straße darunter glänzte hell. In der Ferne erhellten die Fackeln auf dem Platz den Horizont und verbreiteten einen goldenen Schein wie bei einem Sonnenaufgang. An manchen Stellen schimmerte der dunkle, dort sternenlose Himmel wie die Oberfläche eines tiefen Gewässers, bedeckt vom aufsteigenden Rauch der Pechfackeln.
    Normalerweise lagen ihm Vergnügungen und große Feste nicht. Er mied sie, wie andere Männer Verantwortung mieden. Doch da sein Gespräch mit Canning so gut verlaufen war, hatte er nun die Muße und auch Lust, etwas zu seinem Vergnügen zu unternehmen. Er hatte das Bedürfnis, heute den Stantons einen guten Abend zu wünschen, während sie die frische Luft im Park genossen, und vielleicht konnte er dann auch ein paar Worte mit deren Schützling wechseln …
    Während seines Ritts dachte er darüber nach, dass Miss Roxane Sheffield eine ihr eigene Art von Mut besaß. Sie gestattete sich weder Tränen noch Schwäche, sondern verließ sich stattdessen auf einen beinahe männlichen Gleichmut – oder einen überraschend heftigen Impuls. Er nahm an, dass sie einen klaren Kopf behalten würde, falls die von ihm gefürchtete Krise eintreten würde. Er trieb das Pferd zum Galopp an. Unterdessen konnte ihre Eigenständigkeit einem Mann das Gefühl geben, verdammt nutzlos zu sein.
    Roxane entdeckte Captain Harrison schon lange bevor er nahe genug herangekommen war, um zu erkennen, bei welcher der vielen gut gekleideten Ladys auf den auf der Erde ausgebreiteten Decken und Kissen es sich um sie handelte. Einen flüchtigen Moment lang überlegte sie, ob sie aufstehen und rasch in die entgegengesetzte Richtung gehen sollte, aber dann gelang es ihr mit einiger Anstrengung, dieses Bedürfnis zu unterdrücken. Unity, die neben ihr saß, folgte ihrem Blick, klatschte unvermittelt in die Hände und stieß einen begeisterten Schrei aus.
    »Mutter! Captain Harrison kommt! Vielleicht wird es ihm gelingen, Roxane mehr als nur einsilbige Kommentare zu entlocken!«
    »Unity!«, schalt Augusta.
    »Unity!«, wiederholte Roxane bestürzt. Sie wendete den Kopf, während sie ihrem erhitzten Gesicht mit einem Palmwedel Luft zufächelte. »So ein Unsinn, Unity! Also wirklich!«
    Als sie den Captain näher kommen sah, neigte Roxane den Kopf und gab vor, ein viel größeres Interesse an den Bemühungen des deutschen Kapellmeisters zu haben, der versuchte, der Regimentskapelle vertraute englische Töne zu entlocken, als an der Tatsache, dass Collier Harrison gleich an ihrer Seite sein würde. Es war das erste Mal seit dem Vorfall in Stantons Garten, dass sie ihn wiedersah. Sie war sich nicht sicher, wie er reagieren würde – und sie wusste auch nicht, wie sie sich verhalten würde.
    Sie fächelte sich schneller Luft zu und atmete flach und schnell, während ihre Brust sich in dem weißen und pinkfarbenen Mieder hob und senkte.
    »Guten Abend, Captain Harrison.«
    »Guten Abend, Mrs Stanton, Miss Stanton … Miss Sheffield.«
    Roxane warf einen Blick über ihre Schulter und täuschte Überraschung vor, ihn hier zu sehen. »Guten Abend, Captain«, erwiderte sie so kühl, wie sie nur konnte. Er grinste breit, ließ sich zwischen ihr und Unity nieder und streckte seine

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