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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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Aus seiner Kehle drang heiser ihr Name.
    »Roxane …«
    »Nein!«
    Roxane riss sich von ihm los, schoss von der Bank hoch und drehte sich zu ihm um. In ihren Augen tanzten bernsteinfarbene Flammen. »Wie können Sie es wagen?«, flüsterte sie.
    »Es tut mir leid, Roxane«, entschuldigte er sich.
    »Das sollte es auch!«, rief sie. »Wie bei allen anderen Männern wird auch Ihr Verstand von Ihren Lenden beherrscht. Ich hätte es wissen müssen. Aber ich … dachte, ich könnte Ihnen vertrauen.« Sie presste eine Hand quer über ihre Augen und versuchte, eine unerwartete Tränenflut zurückzuhalten.
    »Roxane …«
    »Nennen Sie mich nicht so!«
    »Und wie soll ich dich dann nennen, mein Liebes?«
    »So auch nicht!«
    Er lachte leise. »Dich in dieser Situation Miss Sheffield zu nennen, wäre unangebracht, findest du nicht?« Er stand auf und trat mit den Händen an den Seiten einen Schritt näher. Ratlos musterte er sie eine Weile. »Wäre dir ›Liebling‹ recht?«
    »Nein.«
    Er hob seine Hände und legte sie sanft auf ihre Schultern. Sie sah ihn misstrauisch an, wich aber nicht zurück.
    »Mein Schatz?«, schlug er leise vor.
    »Niemals.«
    Er lächelte. »Meine Liebe?«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich«, fuhr sie ihn an. »Wir kennen uns kaum. Von Liebe zu sprechen ist absurd.«
    »Du magst recht haben«, erwiderte er und ließ seine Arme fallen. »Aber ich denke anders darüber.«
    Er schob die Hände tief in seine Taschen, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den sternenhellen Himmel. Von der Veranda klangen Stimmen herüber. Sie waren weit entfernt und schwebten ohne verständliche Worte friedlich durch die Nacht. Hinter ihm raschelte Roxanes Kleid. Er spürte eine leichte Berührung an seinem Ärmel und hörte dann ihre Schritte auf dem Pfad, als sie an ihm vorbei auf das Haus zuging.

5
    Mit der Schulter an den Fensterrahmen gelehnt, zog Collier tief den Rauch seiner Zigarette ein, die er in der hohlen Hand hielt, und schmeckte den dunklen, starken türkischen Tabak in seiner Kehle und seiner Nase. Gedrehte Zigaretten waren wohl eine Begleiterscheinung der Krim, überlegte er und starrte auf die glühende Spitze; eine furchtbare tägliche Erinnerung an linkische Narren und eine gigantische Tragödie. Er runzelte die Stirn und klopfte die Zigarettenspitze auf Augenhöhe so lange gegen die Wand neben dem Fenster, bis sie erlosch; dann zerdrückte er das Papier zwischen seinen Fingern und schleuderte die Zigarette in die Dunkelheit hinter der Kolonnade.
    Zumindest war Lord Canning ein vernünftiger Mann, wie er fand. Das Gespräch war gut verlaufen. Der Generalgouverneur hatte im Gegensatz zu seinen eigenen Vorgesetzten Interesse an dem gezeigt, was Collier ihm zu sagen hatte. Er hatte seine Warnungen ernst genommen und hatte die Art und Weise nicht verurteilt, auf die er seine Informationen bekam, auch wenn dabei manchmal die Regeln überschritten wurden. Ja, Lord Canning war ein vernünftiger Mann, aber er war erst seit Kurzem in Indien … Würden die Bemühungen eines nüchternen, frommen, tatkräftigen und unbestechlichen Mannes in einer Regierung etwas ausrichten können, in der Trägheit, Unfähigkeit und Ehrlosigkeit weit verbreitet waren?
    Die Zeit würde es zeigen – falls sie denjenigen zugestanden würde, die sie dringend brauchten.
    Collier drehte sich auf dem Absatz um, ging hinaus in die Eingangshalle und auf dem Marmorfußboden vorbei an den Reihen der Sepoys in ihren scharlachroten Uniformjacken, die in Habachtstellung an der Wand standen. Er erwiderte gedankenverloren ihren Gruß. Eine sanfte Brise strich durch den Korridor und brachte den Duft von Jasmin und Lampenöl und das Geräusch von gedämpften Stimmen mit sich. Cannings Tochter, dachte Collier, und die mit Akzent gesprochenen Worte eines Dieners.
    Am Fuß der mit purpurrotem Teppich ausgelegten Treppe blieb Collier stehen und legte eine Hand auf den Treppenpfosten. Stirnrunzelnd warf er einen Blick nach oben. Vor weniger als einem Monat hatten er und einige andere beobachtet, wie Canning am oberen Ende dieser Treppe gestolpert war und beinahe auf die Knie gefallen wäre, als er hinaufstieg, um das Amt des Generalgouverneurs anzutreten. Die Bediensteten hinter den Seilen waren gemeinschaftlich zusammengezuckt und hatten kaum hörbar aufgestöhnt, weil sie das als schlechtes Omen ansahen.
    Collier ließ den Pfosten los und schlug sich mit der Handfläche auf den Oberschenkel, bevor er das Haus durch den Vordereingang

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