Palast der Stürme
war.«
»Ja, aber das war zu Hause. Sie sind jetzt hier.« Augusta hob die Augenbrauen und wartete vergeblich darauf, dass Roxane ein Licht aufging.
»Und?«
Augusta senkte ihre Stimme noch weiter. »Diese Menschen sind nicht weiß«, erklärte sie.
»Ja«, bestätigte Roxane diese Tatsache, die für sie klar ersichtlich war. »Und?«
Augusta schwieg einen Augenblick lang und seufzte dann frustriert. »Schon gut, Roxane. Ich weiß nicht, was Ihre Mutter sich dabei gedacht hat, Sie so zu erziehen, aber lassen Sie uns das jetzt vergessen. Heute Abend sollen sich alle amüsieren, also sollten wir ihn uns nicht durch eine Meinungsverschiedenheit verderben.«
Sie klappte geräuschvoll ihren Fächer zu und griff nach dem Arm ihres Mannes, um sich von ihm die Treppe hinaufführen zu lassen. Roxane beschloss, sich nicht weiter um Augustas Kommentare Gedanken zu machen, hob das Kinn und ging rasch die Steinstufen hinauf, sodass sie vor ihren Gastgebern oben angelangt war. Unity wartete bereits.
»Alle drehen sich nach Ihnen um, Roxane«, sagte sie.
»Unsinn!«
»Doch. Schauen Sie nur. Sehen Sie den Offizier mit dem blonden Haar? Er lässt Sie nicht aus den Augen.«
Wider besseres Wissen wandte Roxane den Kopf und folgte Unitys Blick. Der blonde junge Mann trug eine Uniform, hatte Sommersprossen auf der Nase und lächelte gewinnend in ihre Richtung.
»Unity, dieser Junge sieht nicht mich an. Ich glaube, du bist diejenige, mit der er liebäugelt. Jetzt hör auf, dorthin zu starren, bevor dich deine Mutter dabei erwischt.«
Sie packte Unity entschlossen am Arm und führte sie durch die Flügeltüren.
Die Gäste wurden durch einen mit Seilen abgesperrten Gang geschleust, damit sie nacheinander den Ballsaal betreten konnten. Jeder Gast wurde namentlich angekündigt, nachdem er seine Einladung auf ein silbernes Tablett gelegt hatte. Anstandshalber mussten Roxane und Unity warten, bis die Stantons in dem Gang erschienen, damit sie vor ihren beiden unverheirateten Schützlingen den Saal betreten konnten.
Der Ballsaal war sehr groß, zweimal so lang wie breit, und mit Fenstern versehen, die vom Boden bis zur Decke reichten und geöffnet waren, um die Abendluft hereinzulassen. Jeder Tisch war mit frisch geschnittenen, duftenden weißen oder pinkfarbenen Blumen geschmückt, die in gehämmerten Messingvasen auf weißen gestärkten Tischtüchern arrangiert waren. Die Bediensteten trugen ebenfalls weiße Kleidung mit rubinroten oder lachsfarbenen Schärpen. Die Stühle waren mit blassrosa Brokat bezogen, und die Tischbeine waren weiß lackiert. In dem polierten Marmorboden spiegelten sich die Kronleuchter, die in gleichmäßigen Abständen über die gesamte Länge des Raums an der Decke hingen. Auf den Tischen standen breite, hohe elfenbeinfarbene Kerzen in silbernen Kerzenhaltern. Das Buffet war mit glänzendem Silberbesteck und feinsten Gläsern und Porzellan gedeckt. Und in der Mitte flanierten die Gäste durch den Raum. Roxane hatte den Eindruck, dass es dabei nur um einen Zweck ging: Jedem jungen Mann sollte ausreichend Gelegenheit gegeben werden, sich jede junge Frau anzuschauen, bevor es dann darum ging, die Tanzkarten zu füllen. Wie man ihr gesagt hatte, würde danach eine leichte Mahlzeit serviert werden. Dann folgten einige Tänze vor dem späteren Essen und einige Ansprachen, bevor bis spät in die Nacht hinein wieder getanzt würde. Zum Schluss des festlichen Ereignisses sollte denjenigen, die noch nicht völlig erschöpft waren, ein Frühstück gereicht werden.
Roxane stand hinter Unity und sah lächelnd an ihr vorbei auf die Mitte der großen Tanzfläche, wo sich eine Gruppe von Offizieren versammelt hatte. Augenscheinlich unterhielten sie sich, aber eigentlich ging es ihnen nur darum, das vorbeiziehende Gefolge von kultivierten und gepflegten jungen Damen eingehend zu mustern. Roxane erkannte einen von ihnen und wandte sich rasch ab, in der Hoffnung, dass sie nicht gesehen wurde. Zu spät. Harry Grovsner, der eifrig Ausschau nach den Damen hielt, hatte sie schon erspäht, noch bevor sie ihn gesehen hatte. Falls er sich noch an die Episode im Garten erinnerte, schien er sie im Augenblick vergessen zu haben, denn ein breites Lächeln erhellte sein Gesicht.
»Miss Sheffield!«, rief er so laut, dass sich mehrere Gäste umdrehten. Roxane schob sich durch die Menge zurück und ließ Unity in der Obhut ihrer Eltern. Am Buffet gab sie vor, sich das Porzellan genauer anzusehen. Es gelang Grovsner jedoch, sich den
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