Palast der Stürme
hatte, bevor sie es sorgfältig faltete. Sie ließ ihre Finger über den Stoff gleiten und dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als er seine Hände daraufgelegt und sie gestreichelt hatte. Bei der Erinnerung daran verschlug es ihr den Atem.
»Roxane, Sie sehen ein wenig erhitzt aus«, bemerkte Augusta, als sie mit einem gepolsterten Weidenkorb in den Raum stürmte. Sie blieb besorgt neben Roxane stehen, die gerade in die Hocke gegangen war. »Geht es Ihnen gut?«
»Wir sprechen gerade über Captain Harrison«, erklärte Unity. Roxane warf ihr unter gesenkten Wimpern einen vernichtenden Blick zu, den Unity fröhlich ignorierte.
»Ich verstehe.« Augusta rümpfte die Nase und machte sich daran, den Korb mit verschiedenen Dingen zu füllen. Roxane wusste, dass sie seit der Ballnacht nicht gut auf Collier Harrison zu sprechen war. Und noch weniger hatte ihr gefallen, dass Roxane sich wenig um die Meinung der Nachbarn scherte, was ihren Ruf betraf, sondern dass es ihr lediglich leidtat, dass sie die Stantons möglicherweise bloßgestellt hatte. Augusta musste darüber hinaus beunruhigt feststellen, dass ihr Ehemann und ihre Tochter sich auf Roxanes Seite stellten. Also hatte sie beschlossen, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Was immer man den jungen Damen in London heutzutage beibringen mochte – ihrer Meinung nach war es lächerlich und schlecht durchdacht.
Doch als sie sich jetzt wieder Roxane zuwandte, konnte sie sich anscheinend nicht zurückhalten.
»Hätte er sich erklärt, hätte Ihr Ruf nicht leiden müssen, Roxane. Ich bin wirklich sehr enttäuscht über sein unfeines Verhalten.«
Roxane erhob sich und wischte ihre Hände an ihrer Schürze ab. Sie öffnete den Mund, um zu antworten, doch Unity, die zweifellos wütend über den Angriff auf den Mann war, den sie so sehr mochte, nützte Roxanes kurzes Zögern aus.
»Er hat sich erklärt, Mutter! Er hat Roxane in der Ballnacht im Regierungsgebäude gefragt, ob sie seine Frau werden will!«, platzte sie heraus.
Roxane klappte ihren Mund mit einem hörbaren Klicken zu, und Augusta tat es ihr nach, bevor ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Dann hob sie eine Hand, strich sich das braune Haar aus der Stirn und versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen.
»Hat er Sie das tatsächlich gefragt, Roxane?«
»Natürlich«, warf Unity ein.
»Ich spreche mit Roxane«, erklärte Augusta tonlos.
»Ja«, gestand Roxane. »Das hat er.«
»Warum haben Sie uns das nicht erzählt?«
Roxane hockte sich wieder auf den Boden und faltete ein weiteres Kleidungsstück auf ihren Knien. Sie sah kaum, was sie in der Hand hielt, noch kümmerte sie es, dass sie den Stoff zerknitterte.
»Es war nur so dahingesagt. Und ich habe es Unity nach dem Frühstück erzählt – allerdings in strengstem Vertrauen.«
Unity schwieg beschämt.
»Worum ging es in diesem Gespräch? Was genau hat er gesagt?«
»Ich kann mich nicht mehr erinnern«, log Roxane und ließ das Leibchen in den Koffer fallen.
»Würde ich einen Antrag bekommen, dann würde ich mich an jedes Detail, an jedes einzelne Wort erinnern«, sagte Unity mit gedämpfter Stimme. »Natürlich kann ein Soldat nicht einfach heiraten. Er muss sich dafür die Genehmigung einholen, eine Art Befreiung. Glauben Sie, dass er sich an Mutter und Vater wenden wird, bevor wir abreisen?«, flüsterte sie und sah Roxane ernst an. »Ich meine, weil Ihr Vater doch in Delhi ist.«
»Es spielt keine Rolle, dass mein Vater in Delhi ist, Unity«, erklärte Roxane. »Und ich habe nicht gesagt, dass ich Captain Harrison heiraten werde, also gibt es nichts zu besprechen.«
»Aber Sie wollen ihn doch heiraten, oder?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, Unity.«
Das schien das Mädchen erst verdauen zu müssen, denn die folgenden Minuten verhielt es sich ganz still. Roxane fuhr fort, ihre Sachen zu packen, und hoffte, dass niemand bemerkte, wie stark ihre Hände zitterten.
»Unity hat recht«, verkündete Augusta nach einer Weile. »Einem Soldaten steht es nicht frei, zu heiraten, wann es ihm beliebt. Selbst ein Offizier unterhalb eines bestimmten Ranges muss sich die Erlaubnis dazu einholen, und ich habe nichts davon gehört, dass Captain Harrison einen dementsprechenden Antrag gestellt hat.«
Roxane widmete ihre ganze Aufmerksamkeit dem Spitzenrand ihrer Taschentücher, bevor sie sie in den Koffer legte.
»Wie ich schon sagte – es war nur Gerede«, murmelte sie.
»Nur Gerede, allerdings«, flüsterte Augusta und erhob sich von
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