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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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das Problem nachzudenken. Allerdings war es in England nie so brutheiß gewesen. Obwohl sich der Tag bereits dem Ende neigte, war die Luft immer noch feucht und drückend. Wenn man in die Ferne schaute, hatte man den Eindruck, eine Rauchwolke vor sich zu haben. Je nach Blickwinkel flimmerten die Bilder, verschwanden und tauchten wieder auf. In dem Garten hinter der Mauer ertönte der schrille Ruf des Wechselkuckucks: »Bist du krank? Bist du krank? Fieber! Fieber!« Ein Specht klopfte unaufhörlich gegen morsches Holz.
    Roxane tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von Stirn und Hals und musste sich eingestehen, dass ihr überstürzter Aufbruch, um mit dem Gärtner zu sprechen, nicht klug gewesen war. Sie war sich nicht sicher, wie weit sie schon gegangen war. Eigentlich sollte sie sich jetzt ein wenig ausruhen und etwas trinken. Sie spähte durch die Hecke und fragte sich, ob es sehr unhöflich wäre, wenn sie zu dem Haus ging und dort um etwas zu trinken bat. Bei dem Gedanken, was es für ihren bereits angeschlagenen Ruf bedeuten würde, wenn sie mit dieser speziellen Bitte an die Tür von Fremden klopfte, musste sie lächeln. Man würde ihr nicht nur moralische Verworfenheit, sondern auch noch exzentrisches Verhalten vorwerfen. Sie fand jedoch, dass das nun auch nichts mehr änderte. Etikette war eine Sache, Gesundheit eine andere.
    Am Pförtnerhaus bot ihr der Wächter an, ihr etwas Wasser bringen zu lassen, aber sie erklärte ihm, dass sie es nicht trinken könne, wenn sie nicht sicher sei, dass es abgekocht war, und bestand darauf, jemanden aus dem Haus zu sehen. Schließlich gab der Mann nach und führte sie den kurzen Pfad zum Haupthaus hinauf.
    Große Töpfe mit wohlriechenden Kornblumen, die schon bald verblühen würden, säumten die Veranda. Vor den Fenstern standen willkürlich angeordnet einige leere Stühle aus Rosenholz; die Kissen waren aufgestellt und gegen die gebogenen Rückenlehnen gestützt. Die Jalousien waren noch nicht für den Abend hochgezogen. Aus dem Inneren des Hauses hörte Roxane weibliche Stimmen, hin und wieder unterbrochen von Glockengeläut. Dann wurde gelacht, und plötzlich kam ein dumpfer Schlag, der den Boden unter ihren Füßen vibrieren ließ.
    »Einen Augenblick, Memsahib.« Der Pförtner verbeugte sich förmlich und verschwand im Haus. Kurz darauf kam eine junge Frau an die Tür geeilt und zog sich atemlos ein Kopftuch vom Haar. Sie war sehr dünn, wie Roxane feststellte, hatte einen milchigen Teint und dichte, glänzende hellbraune Locken. Ihre Augen waren blau – nicht herbstblau wie Unitys, sondern wie der dunkle Abendhimmel nach Sonnenuntergang – und umgeben von langen, dünnen Wimpern, die ihr ein erschrecktes Aussehen verliehen. Doch ihr Lächeln zeigte, dass dieser Eindruck täuschte.
    Roxane erklärte ihr, wer sie war und in welcher misslichen Lage sie sich befand, und die jüngere Frau streckte freundlich die Hand aus.
    »Olivia Waverly«, stellte sie sich vor. »Bitte kommen Sie herein.«
    Ihre Zähne waren strahlend weiß, eben und so klein wie die eines Kindes.
    Der Eingangsbereich war mit Kisten vollgestellt, einige noch versiegelt, andere geöffnet. Manche waren bereits zum Teil ausgepackt worden, und ihr Inhalt lag verstreut auf dem Boden. An der hinteren Wand waren etliche Bilder gestapelt, die darauf warteten, aufgehängt zu werden. In den Räumen, die man von der Eingangshalle aus sehen konnte, standen Möbelstücke, die noch mit Tüchern abgedeckt waren. Bedienstete liefen eilig hin und her, um ihre Aufgaben zu erledigen.
    »Ich komme zu einer ungünstigen Zeit«, meinte Roxane.
    »Unsinn«, entgegnete die andere Frau. »Sie konnten ja wohl schlecht warten, nicht wahr? Machen Sie sich ein wenig frisch, und dann trinken wir etwas und essen eine Kleinigkeit.«
    »Oh nein, das kann ich nicht annehmen«, protestierte Roxane. »Ein Glas Wasser oder Saft reicht mir vollkommen, dann mache ich mich wieder auf den Weg.«
    Miss Waverly ließ jedoch nicht locker und führte Roxane zu einem Krug und einer Schüssel, die sie mit frischem Wasser füllen ließ.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, essen wir auf den Kisten im Foyer. Alles andere ist noch nicht fertig.«
    Roxane widersprach noch einmal, aber Olivia Waverly gelang es, sie zu überreden. Bevor Roxane wusste, wie ihr geschah, nahm sie mit Miss Waverly eine kleine Mahlzeit ein und half ihr anschließend wie selbstverständlich beim Auspacken der Kisten. Sie schickten einen Boten los, um den Stantons

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