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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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dem Sessel. Sie ging zu Roxane hinüber, legte ihre schlanken Finger unter deren Kinn und hob ihr Gesicht an, um es genauer mustern zu können. Bevor sie es wieder losließ, runzelte sie die Stirn. Dann beschäftigte sie sich wieder mit ihrem Gepäck, doch als sie sich erneut zu Wort meldete, hatte sich ihr Tonfall geändert.
    »Roxane, hat Captain Harrison Ihnen ungebührliche Avancen gemacht? Hat er Ihre Gefühle für ihn ausgenutzt? Oh, gütiger Gott«, hauchte sie. »Ist eventuell noch mehr ruiniert als Ihr Ruf? Unity!«, rief sie dann hektisch. »Du verlässt jetzt bitte den Raum.«
    Roxane sah rasch auf und legte dem jungen Mädchen die Hand auf den Arm, um es am Aufstehen zu hindern. »Mrs Stanton, es ist nicht nötig, Unity hinauszuschicken. Es ist nichts Unziemliches vorgefallen. Ich bin immer noch unberührt.« Sie betonte jede Silbe sorgfältig, damit sie nicht missverstanden wurde, und widmete sich dann wieder dem Unterrock in ihren Händen, der jetzt heillos zerknittert war. Sie legte ihn auf ihre Knie und strich ihn glatt, bevor sie ihn faltete und zu den anderen Kleidungsstücken legte. Im Zimmer war nur noch das allgegenwärtige Quietschen des Punkah zu hören. Roxane schaute über ihre Schulter und beobachtete, wie Mutter und Tochter sich einen Blick zuwarfen.
    Augusta stand wieder auf und schüttelte ihren Rock. »Nichtsdestotrotz halte ich es für richtig, dass Colonel Stanton mit dem Vorgesetzten des Captains spricht, Roxane. Selbst wenn es nur Gerede war, wie Sie sagen, hat er Sie ausgenutzt, wenn er Sie in die Irre geführt hat. Man kann ihn dazu zwingen, sein Wort zu halten, Roxane.«
    Roxane erhob sich ebenfalls. Sie band ihre Schürze auf, zog sie sich von den Schultern und legte sie auf den geöffneten Schrankkoffer. »Ich muss darauf bestehen, dass Sie nichts dergleichen in die Wege leiten, Mrs Stanton«, betonte sie. »Ich bin fast einundzwanzig Jahre alt. Mit meiner Ehre verhält es sich so, wie ich es für richtig erachte. Ich kann mit allem leben, was ich bisher getan und nicht getan habe. Sollten Sie jedoch Captain Harrison gegen seinen Willen dazu zwingen, mich zu heiraten – und das, obwohl ich ihm kein Versprechen gegeben habe –, könnte ich zwar Ihre Gründe nachvollziehen, Ihnen aber Ihre Methoden nicht verzeihen. Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Ich habe dem Gärtner versprochen, mit ihm darüber zu sprechen, welche Dinge er zu seinem Bruder nach Delhi bringen lassen möchte.«
    Roxane verließ das Zimmer, ohne den zweiten Blickwechsel zwischen Augusta Stanton und ihrer Tochter zu beobachten; als Unity schließlich in Tränen ausbrach, hatte sie das Haus bereits verlassen. Und sie sah auch nicht, dass Unity in Gesellschaft ihrer Ayah und des Syce, des Stallknechts, ihres Vaters, das Haus verließ, um zu dem Bungalow eines bestimmten Captains zu fahren. Als Unity dort eintraf, musste sie jedoch erfahren, dass er nicht da war und dass niemand wusste, wohin er gegangen war und wann er zurückkommen würde.
    Es sei ein Brief eingetroffen, auf den Harrison schon seit einiger Zeit gewartet habe, erzählte ihr ein junger Offizier bereitwillig. Heute sei er endlich angekommen, allerdings nicht auf dem normalen Postweg. Er habe ihn hier irgendwo hingelegt. Ob sie einen Moment warten wolle? Oh ja, da sei er ja, und darauf sei eine Adresse und eine Uhrzeit gekritzelt. Und dann sei da noch die Rede von seiner Verlobung …
    Ohne Gewissensbisse nahm Unity dem Soldaten den Brief aus der Hand und las ihn, wobei sie ihre Lippen stumm bewegte. Sie zögerte und las ihn noch einmal, bevor sie ihn ohne ein Wort zusammenfaltete und dem eifrigen jungen Mann zurückgab.
    Ob die hübsche Lady Unterstützung brauche, um Captain Harrison ausfindig zu machen?
    Nein, erwiderte Unity, für sie ungewöhnlich kurz angebunden. Die hübsche Lady brauche keine Hilfe. Ohne sich helfen zu lassen, kletterte sie in den Einspänner und atmete tief durch. Einen flüchtigen Moment lang schwankte sie, ob sie ihren Plan weiter verfolgen sollte, dann beugte sie sich vor und tippte dem Kutscher auf die Schulter. Ohne Skrupel gab sie ihm die Adresse, die sie auf dem Zettel gelesen hatte, der dem Brief an Captain Harrison beigefügt war.
    Roxane blieb im Schatten einer Hecke, die auf einem Erdhügel hinter einer niedrigen, weiß getünchten Ziegelmauer gepflanzt war, stehen, um zu verschnaufen. Zu Hause in England war sie immer spazieren gegangen, wenn sie Kummer hatte. Das hatte ihr dabei geholfen, gründlich über

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