Palast der Stürme
verschwörerisch. »Er sollte Sie nicht auf diese Weise der Verurteilung aller aussetzen. Unser lieber Collier sollte es besser wissen, wenn Sie es schon nicht tun.« Roxane spürte, wie sich ihre Härchen im Nacken aufstellten.
Sie blieb stehen, und Rose, die dicht neben ihr hergegangen war, um ihr ins Ohr flüstern zu können, prallte gegen ihre Schulter und atmete hörbar aus.
»Es ging nicht darum, es besser zu wissen oder nicht«, erklärte Roxane verärgert. »Es interessiert mich nicht, was die Leute von mir halten, verstehen Sie das, Rose Peabody? Das war mir schon immer gleichgültig. Tradition, Bräuche und gesellschaftliche Sitten – das alles dient einem bestimmten Zweck, aber es beherrscht nicht jede meiner Handlungen. Ebenso wenig wie ein Mann – wie jeder andere Mann. Ich tue, was ich für richtig halte«, schloss sie und wandte sich ab.
Hinter ihr stieß Rose einen Laut aus, der wie das Quieken einer Maus klang. Ohne einen Blick zurück ging Roxane weiter in den Garten hinein. Ihr Rock rauschte, als er über den Muschelkies unter ihren Füßen glitt. Nach einer Weile blieb sie stehen und sah sich nach Collier um.
Sie entdeckte seine Silhouette in dem Licht, das durch die offenen Türen fiel. Rose Peabody war nicht mehr zu sehen. Roxane hob den Arm und gab Collier mit ihrem offenen Fächer ein Zeichen. Er kam schnell zu ihr herüber.
»Roxane«, begann er und reichte ihr ein Glas mit prickelndem Champagner. »Ich glaube, es wäre besser, wenn wir an deinen Tisch zurückkehrten.«
»Warum?«, fragte sie und setzte das Glas an die Lippen.
»Ich habe mehr von deiner Zeit beansprucht, als mir zusteht, und die Nachsichtigkeit deiner Gastgeber zu meinen Gunsten genutzt. Mrs Stanton scheint dich vor dem letzten Tanz unbedingt sprechen zu wollen …«
»Wahrscheinlich will sie mir wegen meines Benehmens die Leviten lesen. Ich weiß, dass sie das tun wird; schließlich habe ich schwer gegen die gesellschaftlichen Regeln verstoßen, indem ich es zugelassen habe, dass du durchgehend mein Tanzpartner warst.«
»Dein guter Ruf steht auf dem Spiel«, sagte er beharrlich und legte seine Hand auf ihren Ellbogen.
Roxane lächelte. »Was man über mich sagt oder denkt, wird ohne Zweifel von der Willkür der jeweiligen Person abhängen. Daran kann ich nichts ändern. Selbst das unschuldigste Verhalten kann von denjenigen, die mir nicht wohlgesonnen sind, als skandalös dargestellt werden.«
»Roxane, ich meine es ernst«, protestierte Collier.
»Ich auch«, entgegnete sie und ging voraus in den Garten.
Der Champagner war wohlschmeckend, prickelnd und trocken und kitzelte sie in der Kehle, als sie noch einen Schluck aus ihrem Glas nahm. Sie fühlte sich auf angenehme Weise ein wenig schwindlig, und die sanfte Brise, die über ihre erhitzte Haut strich, ließ ihr einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Beim letzten Tanz hatten sich etliche Haarsträhnen gelöst, und sie hob die Hand, um sie zurückzustecken. Sie schienen jedoch nicht am rechten Platz bleiben zu wollen.
»Roxane?«
»Hm?«
Sie schwenkte das Glas leicht hin und her, während sie weiterging, und beschrieb mit der anderen Hand mit ihrem geschlossenen Fächer einen kleinen Bogen vor ihrem Rock. Auf ihren Lippen lag ein leises Lächeln.
»Du bist wunderschön.«
»Das liegt sicher an dem Kleid, Collier«, meinte sie.
»Das Kleid ist sehr hübsch«, erklärte er. »Aber wenn ich dich ansehe, sehe ich nicht nur das, was du trägst.«
Sie kicherte belustigt. »Das solltest du außerhalb dieses Gartens besser nicht sagen.« Sie lachte. »Und erst recht nicht innerhalb der Hörweite unserer empörten Gesellschaft.«
Leise lachend hob er die Hand und streichelte ihr den Nacken. Roxane hielt kurz die Luft an und atmete dann seufzend aus.
»Collier, bist du betrunken?«
Er lachte. »Noch nicht, mein Herz.«
Roxane legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die Sterne jenseits des Lichts. Oh Unity, dachte sie. Ist es das, was du meinst? Das habe ich bisher noch nie empfunden. Rasch trank sie noch einen Schluck Champagner.
Die Blumenblüten im Garten waren geschlossen, aber sie verströmten dennoch einen intensiven Duft. Jenseits der Hecke unterhielten sich einige der Gäste leise im Garten. Der Pfad lag tief im Schatten und wurde nur an einigen Stellen von den Lichtstrahlen erhellt, die aus den offenen Fenstern des Ballsaals drangen. Eine leise Zwischenmusik kam wie aus einer anderen Welt zu ihnen herübergeweht.
»Was ist mit Harry
Weitere Kostenlose Bücher